Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der kindergeldrechtlichen Obhutsregelung. Kindergeld
Leitsatz (amtlich)
Die in § 64 Abs. 2 S. 1 EStG getroffene Obhutsregelung, dass Kindergeld bei mehreren Berechtigten an denjenigen zu zahlen, in dessen Haushalt das Kind aufgenommen ist, verstößt auch dann weder gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz noch gegen Gemeinschaftsrecht, wenn die Berechtigten zivilrechtlich etwas anderes vereinbart haben.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 2 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1; EGVtr Art. 48; BKGG § 3 Abs. 2; BGB § 1613; EWGV 1408/71 Art. 73, 75 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Obhutsregelung in § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) gegen höherrangiges Recht verstößt.
Der Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger und wohnt im Inland. Er hat mit seiner von ihm am 11. Mai 1993 geschiedenen früheren Ehefrau A. H., der Beigeladenen, zwei Kinder, Simone geb. am 18. Januar … und Vanessa geboren am 11. April … Das Sorgerecht wurde der geschiedenen Ehefrau des Klägers zugesprochen, in deren Haushalt die Kinder aufgenommen wurden. Seit 19. Oktober 1996 leben die Kinder im Haushalt des Klägers. In einem gerichtlichen Vergleich vom 2. Juli 1992 zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau vereinbarten die Vergleichsparteien, daß der Kläger für die beiden Kinder Unterhalt in Höhe von 700 DM an die geschiedene Ehefrau zahlt. In dem protokollierten Vergleich heißt es sodann: „dabei gehen die Beteiligten davon aus, daß das gesamte staatliche Kindergeld dem Antragsgegner (Kläger des vorliegenden Verfahrens) zusteht.”
Den Antrag des Klägers, ihm Kindergeld für die Kinder Simone und Vanessa ab 01. März 1996 zu gewähren, lehnte das Arbeitsamt mit Bescheid vom 10. Juni 1996 ab, weil die Kinder im Haushalt der geschiedenen Ehefrau lebten und diese vorrangig Anspruch auf Zahlung des Kindergelds habe. Es berücksichtigte jedoch die beiden Kinder als Zählkinder bei der Gewährung des Kindergeldes für ein drittes Kind des Klägers mit seiner jetzigen Ehefrau.
Der Einspruch blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 05. Februar 1997 führte das Arbeitsamt aus, daß für die Zeit von 01. März bis 31. Oktober 1996 dem Kläger kein Kindergeld für die beiden Kinder zustehe, da nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG die Kindesmutter vorrangig anspruchsberechtigt sei. Ab 01. November 1996 wurde dem Kläger das Kindergeld für die Kinder Simone und Vanessa gewährt (Bescheid vom 28. Januar 1997).
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 10. Juni 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05. Februar 1997 richtet sich die am 05. März 1997 bei Gericht eingegangene Klage, mit der der Kläger die Verfassungswidrigkeit der sog. Obhutsregelung in § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG rügt. Zur Begründung führt er aus, daß die Obhutsregelung nicht mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar sei. Einschränkungen des Gleichheitssatzes bedürften einer sachlichen Rechtfertigung. Diese sachliche Rechtfertigung werde darin gesehen, daß derjenige Elternteil, der die Kinder in den Haushalt aufgenommen habe, das Kindergeld erhalten solle, weil dadurch ein Teil des Barunterhalts sichergestellt werden solle. Desweiteren komme als Begründung die Verwaltungsvereinfachung in Betracht.
Kindergeld sei Einkommen der Eltern, das die Last der Unterhaltspflicht erleichtern solle. Bei getrennt lebenden Eltern partizipiere der barunterhaltspflichtige Elternteil am Kindergeld, indem er seine Unterhaltszahlungen um die Hälfte kürze. Durch diesen zivilrechtlichen Ausgleich entsprechend § 1615 g BGB erhalte letztlich jeder Elternteil das halbe Kindergeld. Es bestehe aber keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß an einen barunterhaltspflichtigen Anspruchsberechtigten, bei dem die betreffenden Kinder nicht in den Haushalt aufgenommen seien, das Kindergeld nicht ausbezahlt werde, obwohl ein familiengerichtliches Urteil oder ein familiengerichtlicher Vergleich – wie hier – eben diesen barunterhaltspflichtigen Elternteil zum Berechtigten bestimme. Für diese Konstellation wäre eine Einschränkung des Obhutsprinzips geboten, weil es insofern nicht verhältnismäßig sei, den betreffenden Elternteil auf den zivilrechtlichen Ausgleich entsprechend § 1615 g BGB zu verweisen. Das sei insbesondere dann problematisch, wenn in der Vergangenheit zuviel bezahlter Unterhalt zurückgefordert würde, weil dieser Anspruch der Beschränkung des § 1613 BGB unterliege.
Das Argument des BFH im Prozeßkostenhilfeverfahren, der Naturalunterhalt sei höher zu bewerten als der Barunterhalt entbehre jeder Grundlage, wenn man § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB und die geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum familienrechtlichen Ausgleichsanspruch berücksichtige, wonach beide Arten der Unterhaltserbringung grundsätzlich als gleichwertig zu betrachten seien. Auch die Anmerk...