Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe eines Erbschaftsteuerbescheids an den Steuerpflichtigen bei vom Berater erstellter Steuererklärung und beim Finanzamt nicht angekommener Empfangsvollmacht. Auswahlermessen nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO. keine „unrichtige” Rechtsbehelfsbelehrung oder Nichtigkeit eines bestandskräftig gewordenen Erbschaftsteuerbescheids infolge – nach Auffassung des Steuerpflichtigen –missverständlicher Bescheiderläuterungen und unterbliebener Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten. keine Nichtigkeit infolge Rechtsfehler
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Bevollmächtigte in der von ihm erstellten Erbschaftsteuererklärung in den dafür vorgesehenen Feldern keine Eintragungen zur Bekanntgabe gemacht und ist die von ihm angeblich vorab übersandte Empfangsvollmacht beim Finanzamt nicht angekommen, durfte das Finanzamt den Erbschaftsteuerbescheid zulässigerweise dem Steuerpflichtigen persönlich bekanntgeben, wenn das Finanzgericht auch nach einer Beweisaufnahme unter anderem aufgrund zweifelhafter Angaben der Mitarbeiter des Bevollmächtigten sich nicht davon überzeugen kann, dass die Empfangsvollmacht beim Finanzamt tatsächlich eingegangen und dort verloren gegangen ist.
2. Es bestehen Zweifel an den Angaben der Mitarbeiter des Bevollmächtigten, wenn sie unter anderem ihre Mandatierung gegenüber den zuständigen Einkommensteuerfinanzämtern durch Einschreiben mit Rückschein bzw. per persönlichem Kurier mitgeteilt haben, während sie sich für die streitige Empfangsvollmacht gegenüber dem für Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt für den Versand durch lediglich einfachen Brief entschieden haben wollen und wenn sie die ihnen vom Steuerpflichtigen erteilte Originalvollmacht nicht mehr vorlegen können, weil sie eventuell versehentlich an ein anderes Finanzamt verschickt worden sei.
3. Das Fehlen einer Empfangsvollmacht wird nicht dadurch ersetzt, dass das Finanzamt zuvor in der Sache mit dem früheren Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen schriftlich korrespondiert hat. Die Bevollmächtigung zur Bearbeitung der Steuerangelegenheiten eines Mandanten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht. Das Finanzamt darf im Rahmen seines Auswahlermessens nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO den Steuerpflichtigen als Bekanntgabeadressaten wählen, wenn ihm keine ausdrückliche oder auslegungsbedürftige Empfangs- und Bekanntgabevollmacht zugunsten der aktuell oder früher vom Steuerpflichtigen bevollmächtigten Kanzlei vorgelegen hat.
4. Ist der erstmalige Erbschaftsteuerbescheid vorläufig „bezüglich noch anzusetzender Prüfungsfeststellungen der Steuerfahndung” ergangen, ergeht nach Vorliegen des Berichts der Steuerfahndung ein insoweit nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO endgültiger Änderungsbescheid, der rechtsfehlerhaft auf Steuerhinterziehungen zurückzuführende erhebliche Einkommensteuerverbindlichkeiten der Erblasserin nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt und die Erläuterungen „Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom … Der Bescheid entspricht der Erörterung mit ihrem steuerlichen Berater. Auf die Anlage zu diesem Bescheid (Steuerfahndungsbericht) wird hingewiesen…” enthält, so ist bei einem erst nach Ablauf der regulären Einspruchsfrist eingelegten Einspruch weder von einer Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO noch von einer – zu einer unverschuldeten Versäumnis der Einspruchsfrist führenden – unzureichenden Begründung des Bescheids oder von einer Nichtigkeit des Änderungsbescheids auszugehen, wenn sowohl in der vom Bevollmächtigten erstellten Erbschaftsteuererklärung als auch im Bericht der Steuerfahndung oder auch im ursprünglichen wie im geänderten Erbschaftsteuerbescheid die auf die Steuerhinterziehungen der Erblasserin zurückzuführenden Einkommensteuerverbindlichkeiten rechtsfehlerhaft nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt worden sind.
5. Eine materielle Rechtswidrigkeit durch Nichterfassung einzelner Besteuerungsgrundlagen macht einen Steuerbescheid nicht nichtig.
Normenkette
AO § 122 Abs. 1 Sätze 1, 3-4, Abs. 2 Nr. 1, § 356 Abs. 1, 2 S. 1, § 121 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 125 Abs. 1, § 126 Abs. 3 S. 1, § 157 Abs. 1 S. 2, § 165 Abs. 1, 2 S. 2; ErbStG § 10 Abs. 5
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Der Antrag auf Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird abgelehnt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Vorläufigkeit des Erbschaftsteuerbescheides vom 11.12.2014 wirksam aufgehoben wurde oder ob nachträglich noch Steuerschulden der Erblasserin als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden können.
I) Der 1937 geborene Kl ist neben seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau hälftiger Miterbe der 2013 in X verstorbenen Y. Diese hatte aus Anlagen bei der Z AG in der Schweiz Kapitalerträge in einer Größenordnung von ca. 2,8 Millionen Euro erzielt, die sie den deutschen Finanzbehörden nicht erklärt hatte.
Im Rahmen von Steuerfahndungsmaßnahmen gegen d...