Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerpflicht einer Briefkastenfirma. Abzugsverfahren und Nullregelung. Untaugliches Beweisangebot. Abgrenzung des Nullbescheids vom Aufhebungsbescheid
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist das Abzugsverfahren für im Inland erbrachte sonstige Leistungen eines ausländischen Unternehmers nach § 18 Abs. 8 UStG 1991 nicht durchgeführt worden, erfolgt die Besteuerung der Umsätze über die Regelversteuerung.
2. Als nicht im Inland ansässiger Unternehmer ist bei richtlinienkonformer Auslegung ein Steuerpflichtiger anzusehen, der weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, noch in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung seinen Wohnsitz oder üblichen Aufenhaltsort im Inland hat.
3. Eine feste Niederlassung erfordert einen hinreichenden Grad an Beständigkeit und Struktur, die die Erbringung von Umsätzen ermöglicht.
4. Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit ist der Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung der Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentralen Verwaltung vorgenommen werden.
5. Es verstößt nicht gegen die Niederlassungsfreiheit, dass eine fiktive Ansiedlung, wie sie für Briefkastenfirmen charakteristisch ist, für die Begründung eines Sitzes als nicht ausreichend angesehen wird.
6. Das Gericht ist zu der von dem Kläger beantragten Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung nicht verpflichtet, wenn diese untauglich ist, da die von dem Gericht verlangten Unterlagen nicht vorgelegt werden und statt dessen der Inhalt der umfangreichen Dokumente durch Zeugenaussagen wiedergegeben werden sollen.
7. Leistender ist, wer aus dem Rechtsgeschäft zur Leistung verpflichtet ist; dies gilt auch für sog. Strohmanngeschäfte, soweit dies nicht nur zum Schein abgeschlossen worden sind.
8. Maßgebend für die Berechnung der Anlaufhemmung ist nicht die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung sondern der Jahreserklärung.
9. Ist einem sog. „Null-Bescheid” nicht zu entnehmen, dass keine Steuerfestsetzung mehr erfolgen soll, liegt kein Freistellungs-, sondern ein Aufhebungsbescheid vor.
10. Ein bloßes Untätigbleiben der Finanzbehörden reicht nicht aus, um einen Steueranspruch als verwirkt anzusehen.
Normenkette
UStG 1991 § 18 Abs. 8, § 3 Abs. 4; UStDV § 51 Abs. 3 Sätze 1, 3, § 57 Abs. 2 S. 2 Nr. 1; EWGRL 388/77 Art. 21 Nr. 1a S. 2, Art. 4 Abs. 1; AO §§ 10, 170 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 155 Abs. 1 S. 3, § 124 Abs. 1 S. 2, § 149 Abs. 1, §§ 164, 125 Abs. 3 Nr. 1; EGV Art. 52
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die A (A), Société à responsabilité Limitée au capital (S.à.r.l.), deren statuarischer Sitz (auch) in den Veranlagungszeiträumen 1991 und 1992 (Streitjahren) in X/Lothringen/Frankreich, war (Hinweis auf den Extrait du Registre du Commerce, Bl. 18-21 der FG-Akten xxxxxx).
Die Klägerin war im Tiefbau tätig (Object social: Etude, direction, surveillance de travaux d'entretien [– s. den Gesellschaftsvertrag vom 12. Januar 1990, Hefter in den Lohnsteuerakten Arbeitgeber Band I St.-Nr. …]), demzufolge umfasste ihre Tätigkeit die Planung, Leitung und Überwachung von Straßeninstandsetzungsarbeiten sowie die Durchführung solcher Arbeiten (Hinweis auf das Ergebnis der in Frankreich durchgeführten Ermittlungen auf ein Auskunftsersuchen des Bundesamts für Finanzen – BfF – vom September 2000, Bl. 1-9 der Umsatzsteuerakten Band II). Sie beschäftigte sich mit der Straßenregenerierung, Straßenausstattung, dem Recycling von Schwarzdecken sowie dem großflächigen Erdbau (Hinweis auf den Schriftsatz der Klägerin vom 9. Oktober 1992, [nicht paginierte] Lohnsteuerakten Arbeitgeber Band I St.-Nr. Nach einem Betriebsprüfungsbericht (u.a. für die Streitjahre) der französischen Finanzverwaltung hat die Klägerin tatsächlich Autobahnarbeiten durchgeführt, für die sie sich Maschinen und das Personal von deutschen Unternehmen auslieh. Da die von der Klägerin in Rechnung gestellten Arbeiten von deutschen Subunternehmern ausgeführt worden seien (so die Feststellungen der französischen Finanzverwaltung a.a.O. weiter), seien diese Unternehmen verpflichtet gewesen, für in Frankreich steuerpflichtige Umsätze einen in Frankreich ansässigen umsatzsteuerpflichtigen Vertreter zu benennen, der sich zu verpflichten gehabt habe, die Umsatzsteuer für Rechnung dieser ausländischen Unternehmer zu entrichten. Da diese Unternehmen keinen Vertreter in Frankreich gehabt hätten, sei die Umsatzsteuer für die auf französischen Baustellen ausgeführten Arbeiten vom Abnehmer dieser Arbeiten, der Klägerin nachgefordert worden (Nachforderung für die Jahre 1990-1992: 1.064.518 F).
Die Klägerin hatte am 1. Januar 1990 ihren Geschäftsbetrieb aufgenommen (Hefter in den Lohnsteuerakten Arbeitgeber Band I St.-Nr. …; Début d'activité). Nach den Angaben der Klägerin rechnete sie in den Streitjahren mit Umsätzen in Frankreich von 5.000.000-6.000.000 FFr.. Nach dem Ergebnis de...