Entscheidungsstichwort (Thema)
Hineinwachsen der Untätigkeitsklage in die Zulässigkeit. Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung. Wegfall der Geschäftsgrundlage
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine verfrüht erhobene Untätigkeitsklage i. S. d. § 46 Abs. 1 FGO kann durch Zeitablauf in die Zulässigkeit hineinwachsen.
2. Eine zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen vor dem FG getroffene tatsächliche Verständigung über den Zeitpunkt des Entstehens eines Auflösungsverlusts ist verbindlich, es sei denn sie führt zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis.
3. Die irrtümliche Auffassung des Steuerpflichtigen, dass der Veranlagungszeitraum, in dem nach der tatsächlichen Verständigung der Auflösungsverlust berücksichtigt werden soll, verfahrensrechtlich noch offen ist, führt nicht zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage der tatsächlichen Verständigung.
Normenkette
EStG §§ 10d, 17 Abs. 4; FGO § 46; BGB § 312 Abs. 2-3, § 313
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist ein Auflösungsverlust der Kläger (Kl) i.S. des § 17 Abs. 4 Einkommensteuergesetzes –EStG– (nachfolgend: Auflösungsverlust) zur … GmbH (nachfolgend: GmbH). Gegenstand des Unternehmens der GmbH war der An- und Verkauf, die Verwaltung und die Vermittlung von Immobilien sowie die Bauträgertätigkeit.
Die Kl sind verheiratet und werden zusammenveranlagt. Der Kl war seit dem xx November 1990 zu 75 % und ab dem xx April 1995 zu xx % an der GmbH beteiligt; er erhöhte seine Beteiligung bis zum xx August 2002 auf xx %. Die Klin war an der GmbH seit dem xx April 1995 mit × % und seit dem xx August 2002 mit × % beteiligt.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft X (StA) erließ das Amtsgericht X (AG) am xx Oktober 2002 einen dinglichen Arrest u.a. in das Vermögen der GmbH, die u.a. Eigentümerin eines umfangreichen Immobilienbestands war. Am xx November 2002 stellte die GmbH ihren laufenden Geschäftsbetrieb ein. Am xx Dezember 2002 beantragten der Kl sowie der Geschäftsführer der GmbH aus der Untersuchungshaft die Eröffnung des Insolvenz–(InsO)–Verfahrens über das Vermögen der GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit. Mit Beschluss vom xx Dezember 2002 ordnete das AG die vorläufige Verwaltung an, mit Beschluss vom xx Februar 2003 die Eröffnung des InsO-Verfahrens. Im Schlussbericht des InsO-Verwalters A legte dieser eine InsO-Quote von 15,x % fest. Nach Vollzug der Schlussverteilung im Jahr 2007 hob das AG mit Beschluss vom xx Mai 2008 das InsO-Verfahren auf. Für die weiteren Einzelheiten insbesondere zur Vermögenssituation der GmbH wird auf die Inhalte des Berichts des InsO-Verwalters nach § 156 Insolvenzordnung (InsO) vom xx April 2003 – in dem als Umlaufvermögen der GmbH verschiedene Verkaufsgrundstücke, im Detail über 75 Wohnungen und Ladengeschäfte sowie diverse Garagen und Stellplätze mit einem Wert von EUR 11.213.900 angegeben sind – sowie auf seine Sachstandberichte vom xx August 2003, vom xx September 2004 und vom xx März 2005 und auf seinen Schlussbericht vom xx Januar 2007, in dem u.a. Vergleiche des InsO-Verwalters mit dem Kl und dem Geschäftsführer der GmbH jeweils aus dem Jahr 2005 angeführt sind, Bezug genommen (vgl. Anlagen 21-25 Anlagenband der Gerichtsakte –GA–).
Der Steuerberater der Kl (StB) machte einen Auflösungsverlust der Kl zur GmbH erstmals mit Schreiben vom 09. Juli 2004 für den Veranlagungszeitraum (VZ) 2002 geltend. Der Beklagte (Bekl) lehnte dessen Berücksichtigung mit Einspruchsentscheidung vom 07. Mai 2009 mit der Begründung ab, es fehle im VZ 2002 bereits an der Auflösung der GmbH. Auch gegen die ESt-Bescheide für die VZ 2003 bis 2008, in denen der Bekl den Auflösungsverlust ebenfalls nicht berücksichtigt hatte, legte der StB Einspruch ein, und zwar hinsichtlich des streitbefangenen VZ 2007 erstmals am 11. Februar 2009 gegen den Ausgangsbescheid vom 02. Februar 2009. Des Weiteren legte der StB mit Schreiben vom 08. Januar 2009 Einspruch u.a. gegen den ersten, weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) ergangenen ESt-Änderungsbescheid 2005 vom 29. Dezember 2008 wegen eines vorliegend nicht streitgegenständlichen Punktes ein. Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 nahm der StB die Einsprüche für die VZ 2002 bis 2006 zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den vorstehenden Verfahrensabläufen wird auf den Schriftsatz des Bekl vom xx April 2014 einschließlich seiner Anlagen (Bl. 297 ff. GA) sowie die entsprechenden ESt-Akten verwiesen.
Nachdem der Bekl keine Einspruchsentscheidungen (EE) erlassen hatte, erhoben die Prozessbevollmächtigten (PBV) für die Kl am 19. Mai 2010 Untätigkeitsklage betreffend die ESt für den VZ 2004 und – hilfsweise – betreffend die ESt für den VZ 2007. Sie begehrten jeweils die Berücksichtigung eines Auflösungsverlustes i.H. von EUR 1.001.177,02, der sich im Wesentlichen aus dem von den Kl eingezahlten Stammkapital und von ihnen übernommenen Bürgschaften sowie Darlehen zusammensetzte. Für die weiteren ...