Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Einkommensteuer bei Erstattungsüberhang der erlassenen Kirchensteuer. Kein Erlass bei Grenzsteuersatz von mehr als 100 % bei Anwendung der „Fünftelregelung”. Vertrauensschutz bei Übergangsregelung der OFD
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Steuerpflichtige auf eine zum Zeitpunkt des Antrags auf Erlass der Kirchensteuer bestehende, für ihn günstige Verwaltungspraxis vertraut, nach der § 175 AO bei Erstattungsüberhängen von Kirchensteuer für eine Übergangszeit nicht anzuwenden ist, ist das FA verpflichtet, bei einer Änderung seiner Rechtsauffassung dem Steuerpflichtigen durch einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen Vertrauensschutz zu gewähren.
2. Ein Erlass kommt jedoch nur insoweit in Betracht, als die durch die Erstattung der Kirchensteuer ausgelöste Einkommensteuernachzahlung die erstattete Kirchensteuer übersteigt.
3. Ein Grenzsteuersatz von mehr als 100 %, zu dem es bei der Anwendung der sog. „Fünftelregelung” des § 34 Abs. 1 EStG kommen kann, kann als gesetzlich vorgesehene Folge nicht im Erlassverfahren korrigiert werden.
4. Die allgemeine Erwartung des Steuerpflichtigen, das FA werde eine für ihn günstige Handhabung in Zukunft beibehalten, ist nicht geschützt.
Normenkette
AO §§ 227, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG §§ 10, 34; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. August 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2006 wird der Beklagte verpflichtet, die in den Einkommensteuerbescheiden für 2000 und 2001 vom 23. April 2004 errechneten Nachzahlungen von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 2000 und 2001 insoweit zu erlassen, als diese auf einem Erstattungsüberhang beruhen, der aufgrund des Erlassantrags der Kläger beim … kirche vom 8. Juli 2002 und dem nachfolgenden Erlass des … kirches vom 11. Juli 2002 zustande gekommen ist und diese Nachzahlungen von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag den Betrag von insgesamt 31.630,05 EUR (davon für 2000 8.685,83 EUR und für 2001 22.944,22 EUR) übersteigen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte zu 8/25, im übrigen die Kläger.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet haben.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit die mit den geänderten Einkommensteuerbescheiden 2000 und 2001 vom 23. April 2004 festgesetzten Steuernachzahlungsbeträge (in Höhe von insgesamt 65.994,83 EUR), die auf dem Ansatz eines Erstattungsüberhangs von Kirchensteuer als rückwirkendem Ereignis beruhen, gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen sind.
Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Sie gehören beide der Kirche in X an. Der Kläger bezog in den Streitjahren (2000 und 2001) u.a. Einkünfte aus der Überlassung von Aktienoptionen. Der Beklagte (das Finanzamt –FA–) besteuerte im Jahr 2000 anteilig Arbeitslohn in Höhe von 1.008.523 DM und im Jahr 2001 Arbeitslohn in Höhe von 2.647.525 DM. Es berechnete die anteilige Einkommensteuer für die genannten Einkünfte nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Gleichzeitig berücksichtigte es Kirchensteuer in Höhe von 34.288 DM (für 2000) und 97.144 DM (für 2001) als Sonderausgaben.
Gegen die Einkommensteuerbescheide für 2000 vom 8. Oktober 2001, mit dem das FA die Einkommensteuer auf 434.868 DM festsetzte, legten die Kläger ebenso Einspruch ein wie gegen den Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 5. Juli 2002, mit dem das FA die Einkommensteuer auf 573.603,02 EUR (1.121.870 DM) festsetzte. Über diese Einsprüche der Kläger ist bislang noch nicht entschieden. Im Einspruchsverfahren tragen die Kläger nach Angaben des FA vor, es sei strittig, ob bereits die Einräumung von Optionsrechten durch den Arbeitgeber den Lohnzufluss bewirke oder dieser erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Optionsausübung durch den Arbeitnehmer erfolge. Das FA ließ die Einsprüche deshalb antragsgemäß ruhen.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2002 stellte der Steuerberater beim Rat der … kirche einen Antrag auf teilweisen Erlass der ausschließlich auf die außerordentlichen Einkünfte entfallenden Kirchensteuer. Diesem Antrag entsprach der Rat durch Bescheid vom 11. Juli 2002 für 2000 in Höhe von 8.685,83 EUR und für 2001 in Höhe von 22.944,22 EUR. Den Klägern wurde daraufhin Kirchensteuer in Höhe von in...