Entscheidungsstichwort (Thema)
Ertragsteuerliche Behandlung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: X R 4/24)
Leitsatz (redaktionell)
1. Insolvenzanfechtungen wirken auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe des Insolvenzschuldners zurück. Zuflüsse aus Insolvenzanfechtung stellen keine nachträglichen Betriebseinnahmen im Zuflussjahr dar.
2. Durch die Insolvenzanfechtung wird der Zustand hergestellt, der ohne die angefochtene Rechtshandlung bestanden hätte.
3. Die Rückwirkung der Insolvenzanfechtung auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe hängt nicht von ihren konkreten steuerlichen Auswirkungen im Jahr der Betriebsaufgabe ab.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 16 Abs. 3, § 24 Nr. 2; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 1, § 144 Abs. 1
Tenor
1. Der an den Kläger adressierte Einkommensteuerbescheid 2016 (Steuernummer XXXXX/XXXXX) vom 29. Juni 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. April 2021 wird dahingehend geändert, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 0 EUR berücksichtigt werden.
2. Der an den Kläger adressierte Einkommensteuerbescheid 2018 (Steuernummer XXXXX/XXXXX) vom 29. Juni 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. April 2021 wird dahingehend geändert, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 460 EUR berücksichtigt werden.
3. Die Berechnung der Steuern wird dem Beklagten aufgegeben (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
6. Das Urteil ist wegen der dem Kläger zu erstattenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Kostenerstattungsbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist die ertragsteuerliche Behandlung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung in den Streitjahren 2016 und 2018.
Der Kläger war Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn A (Insolvenzschuldner). Das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 4. Dezember 2015 eröffnet (…) und durch Beschluss vom XX.XX.2022 inzwischen wieder aufgehoben (…). Hinsichtlich der Ansprüche aus den Einkommensteuerveranlagungen 2015 bis 2018 wurde der Kläger jedoch durch die Beschlüsse des Insolvenzgerichts vom XX.XX.2022 und vom XX.XX.2023 mit der Nachtragsverteilung betraut (…).
Der Insolvenzschuldner betrieb vor Insolvenzeröffnung X Restaurants. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Am 2. November 2015 stellte der Insolvenzschuldner die Betriebe ein (…), meldete sein Gewerbe ab (…) und veräußerte sämtliches Inventar aufgrund der Verträge vom 12. November 2015 an Dritte (…).
Der Kläger erstellte für den Insolvenzschuldner auf den 1. November 2015 eine Aufgabebilanz und erklärte für den Veranlagungszeitraum 2015 unter anderem einen Aufgabegewinn in Höhe von XXX EUR (…). Die Aufgabebilanz zum 1. November 2015 behandelte der Kläger zugleich als Eröffnungsbilanz (…) und führte die Bilanzierung in den Folgejahren fort (…).
Der Kläger focht mehrere, vor Betriebsaufgabe geleistete (…) Zahlungen des Insolvenzschuldners an Gläubiger, insbesondere an den Beklagten (das Finanzamt) und an Krankenkassen, gemäß § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 und § 133 Abs. 1 InsO an. Die Rückzahlungen der Anfechtungsgegner flossen der Masse im Jahr 2016 in Höhe von 12.349,50 EUR und im Jahr 2018 in Höhe von (jedenfalls) 181.622 EUR zu (…). In Höhe der geltend gemachten Anfechtungsansprüche hatte der Kläger Forderungen in die Aufgabebilanz zum 1. November 2015 (…) eingestellt (sonstige Vermögensgegenstände) und die entsprechenden Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners (§ 144 Abs. 1 InsO) gegen die Gläubiger passiviert. Die Zuflüsse aus der Insolvenzanfechtung behandelte der Kläger in den Streitjahren sodann „ertragsteuerneutral als Aktivtausch” (…).
Im Jahr 2016 verausgabte der Kläger zulasten der Masse einen Vorschuss für seine Insolvenzverwaltervergütung in Höhe von 8.306,64 EUR netto (…). Im Jahr 2018 bezahlte er zulasten der Masse Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.704,40 EUR netto (…) für einen Rechtsstreit mit einer Krankenkasse über die hier streitgegenständlichen Anfechtungsansprüche.
In der Gewinnermittlung des Streitjahrs 2016 berücksichtigte der Kläger unter anderem den Abfluss des Vorschusses für seine Insolvenzverwaltervergütung als Betriebsausgabe. Als Betriebseinnahmen (sonstige betriebliche Erträge) behandelte er Einnahmen aus der Auszahlung eines Paypal-Restguthabens des Insolvenzschuldners in Höhe von 8,80 EUR und aus einer Übertragung des Restbestands von einem Schuldnerbankkonto auf das Massekonto in Höhe von 30,87 EUR (…). Darüber hinaus berücksichtigte er Erstattungen des Gaslieferanten aufgrund einer Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vor dem 2. November 2015 in Höhe von 99,25 EUR und des Telefonanbieter...