Entscheidungsstichwort (Thema)
Praxisgebühren sind außergewöhnliche Belastungen und keine Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen)
Leitsatz (redaktionell)
1. Praxisgebühren sind nicht als Sonderausgaben, sondern als außergewöhnliche Belastungen i. S. d. § 33 Abs. 1 EStG bei der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigen.
2. Praxisgebühren sind keine zusätzlichen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, sondern zusätzliche Krankheitskosten.
3. Die Zeitraumbezogenheit der Praxisgebühr rechtfertigt es nicht, diese steuerlich anders zu behandeln, als sonstige im SGB V normierte Zuzahlungen.
4. Zwar ist die Praxisgebühr keine Gebühr im rechtlichen Sinne, da der Vertragsarzt im Verhältnis zum Versicherten keine konkrete Leistung erbringt, die mit der Praxisgebühr abgegolten wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass diese als Krankheitskosten zu qualifizieren sind, da die Verpflichtung zu deren Entrichtung erst durch die tatsächliche Inanspruchnahme einer ärztlichen Leistung als Folge einer Erkrankung ausgelöst wird und nicht bereits durch die bloße Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 3; SGB V § 28 Abs. 4, § 61
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob Praxisgebühren nach § 28 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 61 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) den Beiträgen zu Krankenversicherungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Einkommensteuergesetz – EStG –) oder – als Krankheitskosten – den außergewöhnlichen Belastungen (§ 33 Abs. 1 EStG) zuzuordnen sind.
Die Kläger (Kl) machten in der Einkommensteuer(ESt)-Erklärung für das Streitjahr Praxisgebühren in Höhe von 140 EUR als Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen) geltend. Der Beklagte (Bekl) berücksichtigte die Praxisgebühren im ESt-Bescheid für das Streitjahr vom 31. Oktober 2008 jedoch nicht als Sonderausgaben, sondern als außergewöhnliche Belastungen (Krankheitskosten). Da die Praxisgebühren die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) nicht überstiegen, ergab sich keine steuerliche Auswirkung.
Gegen den genannten Bescheid legten die Kl mit Schreiben vom 03. Dezember 2008 (Bl. 3 f. der Rechtsbehelfsakten), das am selben Tag beim Bekl einging, Einspruch ein und verlangten die Berücksichtigung der Praxisgebühren als Sonderausgaben (Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen). Nachdem der Bekl mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 (Bl. 5 der Rechtsbehelfsakten) zum Einspruchsbegehren Stellung genommen hatte, trugen die Kl mit Schreiben vom 20. Dezember 2008 (Bl. 6 ff. der Rechtsbehelfsakten) zur Begründung ihres Einspruchs Folgendes vor:
In der vorliegenden Einspruchssache gehe es um die Frage, ob die sog. Praxisgebühren der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten im Einkommensteuerrecht den Beiträgen zu Krankenversicherungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG) und somit den Vorsorgeaufwendungen oder als Krankheitskosten den außergewöhnlichen Belastungen (§ 33 Abs. 1 EStG) zuzuordnen seien.
Beiträge an Krankenkassen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG seien Geldleistungen aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen in das Vermögen privater oder gesetzlicher Krankenkassen zur Gewährung von Krankenversicherungsschutz. Es komme nicht darauf an, ob die Beiträge in dem Gesetz, das das Versicherungsverhältnis regele, ausdrücklich als Beiträge bezeichnet würden oder ob zu als Beiträge gezahlten Regelleistungen noch weitere Beträge treten würden, die als Umlage, Aufgeld oder auch Zuzahlung bezeichnet sein mögen, wenn sie nur aus dem Vermögen des Versicherten in das Kassenvermögen zur Gewährung von Krankenversicherungsschutz fließen würden. Krankenversicherungen würden Versicherungsschutz entweder durch Versorgung (mit ärztlichen Leistungen, Arzneimitteln, Heilmitteln, stationärer Behandlung in Krankenhäusern, Heilkuren in Kureinrichtungen, physiotherapeutischen Behandlungen, Gestellung von Haushaltshilfen, Krankengeld nach Ablauf der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall usw.), also durch Naturalleistungen, oder dadurch gewähren, dass sie die Versicherten sich selbst versorgen ließen und ihnen die dafür notwendigen Mittel ganz oder zum Teil erstatten würden. In der privaten Krankenversicherungswirtschaft werde überwiegend Kostenerstattung gewährt, in der gesetzlichen Krankenversicherung herrsche dagegen die ausreichende und zweckmäßige Versorgung vor.
Da der Bekl der Ansicht sei, dass die Praxisgebühren steuerrechtlich nicht anders als die Zuzahlungen zu Arzneimitteln und die sonstigen Zuzahlungen zu behandeln seien, würden zunächst die Zuzahlungen zu Arzneimitteln skizziert:
Gesetzlich Versicherte hätten nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V grundsätzlich Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, die ihnen von einem Kassenarzt verordnet würden, soweit die Mittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB V ausgeschlos...