Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Werbungskostenabzugs eines Pensionärs (Versorgungsempfängers) bei der Leistung von Reservistendienst (Wehrübung)
Leitsatz (redaktionell)
1. Leistet ein pensionierter früherer Berufssoldat Reservistendienst (früher: Wehrübung), so sind die dafür erhaltenen Zahlungen nach dem ab dem 1.11.2015 in Kraft getretenen Unterhaltssicherungsgesetz (USG) i. d. F. v. 29.6.2015 – Mindestleistung für Versorgungsempfänger, Reservistendienstleistungsprämie und Auslandzuschlag – nach § 3 Nr. 48 EStG steuerfrei und die dem Pensionär durch seine Reservistendienstleistung entstandenen Aufwendungen deswegen gem. § 3c Abs. 1 EStG nicht als Werbungskosten abziehbar.
2. Es liegen keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung und kein Verstoß gegen das Prinzip der Folgerichtigkeit vor, weil nicht pensionierte, aktive Berufssoldaten zum Werbungskostenabzug berechtigt sind. Dass eine Gesetzesvorschrift aus systematischen oder praktischen Gründen unbefriedigend erscheint, macht sie noch nicht verfassungswidrig.
3. Auch öffentlichen Bediensteten steht nach der Neukonzeption des USG vom 26.6.2016 kein Werbungskostenabzug mehr zu (Abgrenzung von Niedersächsischem FG, Urteil v. 23.03.2004 – 15 K 768/00).
Normenkette
EStG § 3 Nr. 48, § 3c Abs. 1; USG § 9 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Abzugsfähigkeit von Werbungkosten eines Pensionärs (Versorgungsempfängers) bei der Leistung von Reservistendienst (früher: Wehrübung) im Streitjahr 2015. Der Kläger rügt primär die insoweit unterschiedliche Behandlung von aktiven Berufssoldaten einerseits und pensionierten Berufssoldaten andererseits hinsichtlich des Werbungskostenabzugs.
I.1.
Der Kläger war Berufssoldat, zuletzt mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants, und trat 2013 in den Ruhestand. Im Streitjahr 2015 bestand sein Einkommen wesentlich aus Versorgungsbezügen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
2.
Vom 02.11.2015 bis 04.12.2015 leitstete er Wehrdienst beim C… in B… (Polen), wo er bereits vor seiner Pensionierung tätig gewesen war. Er erhielt eine steuerfreie Mindestleistung für Versorgungsempfänger in Höhe von 1.002,01 EUR, eine steuerfreie Reservistendienstleistungsprämie in Höhe von 895,95 EUR und einen steuerfreien Auslandzuschlag in Höhe von 538,56 EUR, insgesamt 2.436,52 EUR. Durch die Dienstleistung entstanden ihm Aufwendungen für die Dienstantritts- und -abtrittsfahrt (120 EUR), für zwei Wochenendheimfahrten (120 EUR) sowie Verpflegungsmehraufwendungen (792 EUR), insgesamt 1.032 EUR, wovon ihm 330 EUR erstattet wurden, so dass er letztlich 702 EUR selbst zu tragen hatte (im Einzelnen ESt-Akte Bd. 5, unfoliiert, hinter Anlage N 2015). Diese machte der Kläger in seiner Steuererklärung als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
3.
Im ESt-Bescheid 2015 vom 12.08.2016 versagte das beklagte Finanzamt – FA – den Werbungskostenabzug und führte in den Erläuterungen aus, die Werbungskosten hätten mit steuerfreien Einnahmen zusammengehangen.
II.1.
In den Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland dienen – neben Berufssoldatinnen und -soldaten und Soldatinnen und Soldaten auf Zeit – nach Aussetzung der Wehrpflicht zum einen „freiwilligen Wehrdienst Leistende” bis zu 23 Monate (vergleichbar dem früheren Grundwehrdienst) sowie zum anderen als „Reservistendienst Leistende” pensionierte und frühere Berufssoldaten und frühere Soldaten auf Zeit unter bestimmten Voraussetzungen, teils auch ohne, teils nur mit ihrer Zustimmung, bis zu einem bestimmten Lebensalter und, je nach Verwendung, bis zu drei bzw. bis zu sieben Monate (vergleichbar den früheren Wehrübungen).
Die Leistungen an die beiden letztgenannten Gruppen sind im Unterhaltssicherungsgesetz – USG – geregelt, das aus dem Jahr 1957 stammt und mit Gesetz vom 29.06.2015, in Kraft seit 01.11.2015, grundlegend überarbeitet wurde.
Bei den Leistungen für Reservistendienst Leistende ist zu unterscheiden zum einen zwischen im Privatdienst Stehenden bzw. Selbständigen, zum anderen zwischen (aktiven) Beamten und Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst und zum dritten Beamten und Berufssoldaten im Ruhestand.
2.
Nach der bis 31.10.2015 geltenden Rechtslage erhielten im Privatdienst stehende Wehrpflichtige gemäß § 13 USG Verdienstausfallentschädigung für das entfallende Arbeitsentgelt ihres gemäß § 1 Abs. 1 Arbeitsplatzschutzgesetz – ArbPlSchG – während des Wehrdienstes ruhenden Arbeitsverhältnisses, und zwar in der Höhe, die ihnen netto zugestanden hätte, jedoch mindestens eine sog. „Mindestleistung” gemäß § 13c USG, die sich nach Tagessätzen bemaß, die sich nach dem Dienstgrad des Betreffenden richteten und – wenn auch pauschalisiert – bei ca. 40 % des Einkommens der aktiven Soldatinnen und Soldaten gleichen Dienstgrades lagen (Quelle für den Prozentsatz: Markus Grübel, Parlamentarischer Staatssekretä...