Entscheidungsstichwort (Thema)
Durch Vollstreckungsmaßnahme des FA im letzten Monat vor der Insolvenzeröffnung erreichte Steuerzahlung als insolvenzrechtlich anfechtbare Rechtshandlung. Aufrechnung durch maschinell erstellte Umbuchungsmitteilung des FA
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Steuerpflichtige im letzten Monat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen durch das FA (hier: Kontenpfändung) die fällige Lohnsteuer für einen Vormonat bezahlt, um seine Zahlungswilligkeit gegenüber dem FA zu dokumentieren und dieses zur einstweiligen Einstellung der Vollstreckungsmaßnahmen zu bewegen, so ist ein Fall einer insolvenzrechtlich anfechtbaren Rechtshandlung „inkongruente Deckung” nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO) gegeben.
2. Wird in diesem Fall die der Zahlung zugrunde liegende Lohnsteueranmeldung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf 0 DM korrigiert, so ist das FA trotz des zivilrechtlichen Bestehens einer Aufrechnungslage insolvenzrechtlich nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO daran gehindert, hinsichtlich des Lohnsteuererstattungsbetrags wirksam die Aufrechnung mit weiteren, bereits vor Insolvenzeröffnung fälligen eigenen Forderungen (hier: Rückforderung von Investitionszulage und Zinsen hierzu) zu erklären.
3. Auch eine maschinell erstellte Umbuchungsmitteilung des FA kann eine wirksame Aufrechnungserklärung sein, wenn sie die klare Aussage enthält, dass hierdurch Haupt- und Gegenforderung getilgt werden sollen.
Normenkette
AO § 218 Abs. 2, § 37 Abs. 2, § 226; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, §§ 95, 131 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 387
Tenor
Abweichend von dem Abrechnungsbescheid vom 26.03.2002 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.06.2002 wird ein Erstattungsanspruch der Klägerin wegen Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für Januar 2001 in Höhe von 17.449,32 DM (= 8.921,70 EUR) festgestellt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Kostenentscheidung ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der X. Bau GmbH (im folgenden: GmbH).
Der Beklagte erließ am 27.05.1997 gegenüber der GmbH hinsichtlich der Investitionszulage für die Jahre 1993 und 1994 Änderungs- und Zinsbescheide und forderte von dieser einen Gesamtbetrag in Höhe von insgesamt 102.255,– DM einschließlich Zinsen zurück, der jedoch nicht vollständig getilgt wurde.
Am 12.02.2001 gab die GmbH eine Lohnsteuer-Anmeldung für Januar 2001 über 19.375,91 DM einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer beim Finanzamt ab.
Wegen offener Steuerforderungen erließ das Finanzamt am 02.03.2001 gegenüber der Y. Bank. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung in Höhe von 61.866,35 DM, durch welche die Konten der GmbH gepfändet wurden. Der Kontenpfändung lagen im wesentlichen die Rückstände wegen angemeldeter Lohnsteuern, Solidaritätszuschläge und Kirchensteuern für Januar 2001 und Dezember 2000 sowie zurückzuzahlender Investitionszulage 1994 einschließlich Zinsen zugrunde. Die Zustellung an die Y. Bank. erfolgte am 06.03.2001, worauf diese mit Schreiben vom selben Tag die GmbH unter Angabe des Gläubigers und der Summe der Hauptforderung über die Pfändung informierte.
Am 14.03.2001 wurde der Anmeldungsbetrag für Lohnsteuer Januar 2001 aufgrund einer am 12.03.2001 unterzeichneten Anweisung von einem bei der Sparkasse L. am 05.03.2001 eröffneten Konto der GmbH überwiesen, ging am 16.03.2001 beim Finanzamt ein und wurde dort am 20.03.2001 verbucht.
Zu denselben Zeitpunkten erfolgte eine weitere Überweisung der GmbH in Höhe von 32.418,38 DM für Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Dezember 2000 bis Februar 2001. Die GmbH war seinerzeit Organgesellschaft im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft der X.-Anlagen-Verwaltung GbR als Organträgerin, welche Schuldnerin der Umsatzsteuern Dezember 2000 bis Februar 2001 war.
Am 19.03.2001 ging beim Finanzamt der Beschluss des Amtsgerichts M. vom 15.03.2001 über die Bestellung der Klägerin zur vorläufigen Insolvenzverwalterin ein; dem Beschluss lag ein Insolvenzantrag der GmbH vom selben Tag zugrunde. Ferner erhielt es am 20.03.2001, eine Drittschuldnererklärung der Y. Bank., wonach ein eigenes Pfandrecht an den gepfändeten Rechten bestehe.
Mit Beschluss vom 30.03.2001 eröffnete das Amtsgericht M. zum 01.04.2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH und bestellte die Klägerin zur Insolvenzverwalterin.
Die Klägerin gab für Januar 2001 berichtigte Lohnsteuer-Anmeldungen ab, zunächst am 09.05.2001 über 0,– DM, dann am 11.05.2001 über 1.926,59 DM einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. Am 11.06.2001 buchte der Beklagte einen Betrag in Höhe von 19.363,99 DM von der Lohnsteuer Januar 2001 auf die Rückstände zur Investitionszulage 1993/1994 und Zinsen zur Inve...