Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuerrechtliche Behandlung von Gutschriften und Zahlungen an den Anleger im Fall des Anlagebetrugs ernstlich zweifelhaft. unbillige Härte bei drohende Insolvenz durch Vollzug des Einkommensteuerbescheids. Sicherheitsleistung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Gutschriften und Zahlungen an den Anleger in einem Fall von Anlagebetrug als Kapitalrückzahlung oder aber als Zufluss einkommensteuerbarer Erträge anzusehen sind.

2. Ernstlich zweifelhaft ist auch, ob eine gegen den Anlagebetrüger gerichtete Forderung des Anlegers mit ihrem Nennwert oder mit einem darunter liegenden Wert (einschließlich eines Werts von Null) zu bewerten ist.

3. Sind bei summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids nicht auszuschließen, stellt eine bei sofortigem Vollzug des Steuerbescheids drohende Insolvenz des Antragstellers eine unbillige Härte dar, die durch das Interesse der Allgemeinheit an der alsbaldigen Steuerzahlung nicht aufgewogen wird und die Aussetzung der Vollziehung eröffnet.

4. Hat der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung beantragt und hat das Gericht gleichwohl Sicherheitsleistung angeordnet, führt dies nicht zu einem Teilunterliegen i. S. d. Kostenentscheidung.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 4, § 11 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2-3, § 135 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 27.03.2012; Aktenzeichen VIII B 176/11)

BFH (Beschluss vom 27.03.2012; Aktenzeichen VIII B 176/11)

 

Tenor

die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2000, alle in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. November 2010, wird bis einen Monat nach Bekanntgabe der Endentscheidung im Klageverfahren 1 K 1680/10 gegen eine Sicherheitsleistung i.H.v. 80.000 EUR ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Die Beschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin war in den Streitjahren Geschäftsführerin einer GmbH. Sie bezog u.a. Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (zwischen 91.733 DM im Jahre 1996 und 26.050 DM im Jahre 2000). Zwischenzeitlich ist sie Rentnerin, die ihren Angaben zu Folge eine monatliche Rente i.H.v. 506,44 EUR bezieht. Sie verfügt über ein Festgeldkonto i.H.v. 66.917 EUR.

Im Zeitraum 22. Juli 1987 bis zum 6. März 1996 überließ sie zu Anlagezwecken 200.000 DM an die CTS GmbH (CTS). Bei den Kapitalanlagen ging es insbesondere um die Durchführung von damals noch steuerfreien Differenz – und Warentermingeschäften. Aufgrund dieser Einzahlungen erhielt die Antragstellerin von 1996 bis 2001 zu den einzelnen Stichtagen insgesamt:

▹ Gutschriften bei CTS

3.356.333,79 DM

▹ davon der Antragstellerin ausgezahlt:

745.703,37 DM

▹ davon bei CTS „stehen gelassen”:

2.610.630,42 DM

3.356.333,79 DM

Ab 1993 wurden die Kundengelder durch Fehlentscheidungen der CTS aufgezehrt. Die Fassade eines vereinbarungsgemäßen Geschäftsbetriebes wurde durch die Verwendung „frischen” Anlagekapitals als angebliche Anlageerträge den Anlegern gegenüber aufrecht erhalten (Anlagebetrug in Form eines „Schneeballsystems”). Ab Mitte 1998 stellte die CTS den Handel mit Brokerhäusern vollständig ein. Im Jahre 2001 wurde der Anlagebetrug im Zuge von Ermittlungen gegen den Sohn des Geschäftsführers der CTS wegen Verdachts der Geldwäsche – eher zufällig – bekannt. Der Geschäftsführer wurde durch Urteil der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 12. März 2003 8-56/02 wegen Betruges in 2.086 besonders schweren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Antragstellerin hat ihre eingezahlten und die bei CTS „stehen gelassenen” Beträge im Insolvenzverfahren der CTS – bis auf eine geringe Insolvenzquote von ca. 1-2% – verloren.

Aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung bei der CTS behandelte der Antragsgegner die den Anlegern ausgezahlten oder gutgeschriebenen Beträge als Einnahmen aus einer stillen Gesellschaft nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG und erließ gegenüber der Antragstellerin am 10. Dezember 2002 entsprechende Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 1996 bis 2000. Die hiergegen gerichteten Einsprüche ruhten zunächst im Hinblick auf die Abwicklung von Musterverfahren. Nach deren Abschluss hat der Antragsgegner auf der Grundlage einer Billigkeitsregelung am 18. November bzw. 2. Dezember 2010 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre erlassen. Die aufrecht erhaltenen Einsprüche wies der Antragsgegner mit Entscheidung vom 18. November 2010 zurück. Am 21. Dezember 2010 hat die Antragstellerin dagegen Klage erhoben (1 K 1680/10).

Der Antragsgegner hatte zunächst die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide gewährt, die einen Monat nach der Bekanntgabe der o.g. Einspruchsentscheidung endete. Mit Schreiben vom 29. Juni 2011 stellte die Antragstellerin beim Antragsgegner erneut einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, den dieser durch Bescheid vom 5. Juli 2011 ablehnte. Von den nach der Billigkeitsmaßnahme verbleibenden Einkommensteuern der Streitjahre...

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