Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe durch öffentliche Zustellung in der Schweiz: Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom 25.01.1988 – Zulässigkeit der Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein ab dem 01.01.2017
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Zustellung deutscher Steuerverwaltungsakte in der Schweiz durch Einschreiben mit Rückschein ist nach Maßgabe des Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom 25.01.1988 bereits ab dem 01.01.2017 ohne Einschränkung des betroffenen Besteuerungszeitraums zulässig, weil der Begriff der erstmals für Besteuerungszeiträume ab dem 01.01.2018 zulässigen ”Amtshilfe“ in Art. 28 Abs. 6 Satz 1 des Übereinkommens die Zustellung von Schriftstücken unmittelbar durch die Post nicht umfasst (entgegen BMF-Schreiben vom 01.02.2018 IV B 6 - S 1300/07/10011:009).
- Eine gleichwohl durch öffentliche Zustellung erfolgte Bekanntgabe an einen in der Schweiz wohnhaften, der deutschen (beschränkten) Steuerpflicht unterliegenden Steuerpflichtigen führt deshalb nicht zum Wirksamwerden der Bescheide.
Normenkette
AO § 122 Abs. 5, § 124 Abs. 1 S. 1, § 155 Abs. 1 S. 2; VwZG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 3; FGO § 41 Abs. 2 S. 2; GegAmtshSteuerSÜbk Art. 1 Abs. 2 Buchst. c Fassung: 1988-01-25, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Unterbuchstabe i Fassung: 1988-01-25, Art. 17 Abs. 1 Fassung: 1988-01-25, Abs. 3 Fassung: 1988-01-25, Art. 28 Abs. 6 S. 1 Fassung: 1988-01-25; WÜRV Art. 31 Abs. 1
Streitjahr(e)
2009, 2010, 2011, 2012, 2013
Nachgehend
Tatbestand
Strittig ist, ob die an den Kläger gerichteten Einkommensteuerbescheide für 2009 bis 2013 (Streitjahre) vom 25. April 2017 ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sind.
Der Kläger, dessen Ehefrau ihren Wohnsitz in Z-Stadt hat und mit der er ursprünglich für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurde, hat seit 2013 seinen ausschließlichen Wohnsitz in der Schweiz. Nachdem seine Ehefrau für die Jahre 2009 bis 2012 die getrennte und für das Jahr 2013 die Einzelveranlagung beantragt hatte, forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 14. Oktober und 14. November 2016 auf, Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre abzugeben und einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen. Er wies den Kläger im letztgenannten Schreiben darauf hin, dass die für ihn, den Kläger, bestimmten Schriftstücke nur durch öffentliche Zustellung bekannt gegeben werden könnten, wenn er keinen Empfangsbevollmächtigten angebe. Daraus könnten ihm steuerliche Nachteile entstehen. Die Benennung eines Empfangsbevollmächtigten liege daher im eigenen Interesse des Klägers. Der Kläger teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 29. November 2016 mit, dass er Schriftstücke an seine Anschrift in der Schweiz erbitte und nicht an Dritte. Einkommensteuererklärungen gab er nicht ab.
Der Beklagte hob daher die im Wege der Zusammenveranlagung ergangenen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, soweit sie den Kläger betrafen, durch Bescheide vom 25. April 2017 auf und erstellte mit gleichem Datum Einkommensteuerbescheide für 2009 bis 2013, durch die er den Kläger getrennt von seiner Ehefrau bzw. einzeln zur Einkommensteuer veranlagte. Die den Steuerfestsetzungen zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen schätzte er gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO).
Ebenfalls am 25. April 2017 ordnete der Beklagte die öffentliche Zustellung der Einkommensteuerbescheide und der Aufhebungsbescheide an. Die Benachrichtigungen über die öffentliche Zustellung wurden am selben Tag im Finanzamt ausgehängt und am 10. Mai 2017 wieder abgenommen. Mit Schreiben vom 25. April 2017 informierte der Beklagte den Kläger über die öffentliche Zustellung und übersandte ihm Kopien der Einkommensteuerbescheide und der Aufhebungsbescheide.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2017, gerichtet an den Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen (FM NRW), dort eingegangen am 12. Juni 2017, legte der Kläger ”Widerspruch“ gegen die Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2013 ein. Das FM NRW leitete das Schreiben am 21. Juni 2017 an den Beklagten weiter, der es als Einspruch gegen die Einkommensteuerbescheide vom 25. April 2017 auslegte und diesen durch Einspruchsentscheidung vom 6. März 2018 als unzulässig, weil verfristet, verwarf.
Der Kläger hat daraufhin am 6. April 2018 Klage erhoben, mit der er die Feststellung begehrt, dass die Einkommensteuerbescheide für 2009 bis 2013 vom 25. April 2017 mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht wirksam geworden seien. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Bescheide nicht an die seine, dem Beklagten bekannte Adresse in der Schweiz hätten übermittelt werden können. Er, der Kläger, sei kein erfahrungsgemäß unzuverlässiger Steuerpflichtiger. Er habe der postalischen Übermittlung von Schriftstücken auch nicht widersprochen. Deren öffentliche Zustellung sei deshalb rechtswidrig bzw. ermessensfehlerhaft und damit unwirksam.
Der Beklagte habe zudem nicht sämtliche Ermittlungs- bzw. Übe...