Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch eines im Inland wohnhaften Selbständigen – Verhältnis der Kollisionsvorschriften des § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG und des Art.68 EGV Nr. 883/2004
Leitsatz (redaktionell)
- Ein in Deutschland wohnhafter selbständig tätiger Vater hat für sein bei der Kindesmutter in Polen lebendes Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn der Kindesmutter in Polen keine vergleichbaren Familienleistungen gewährt werden und deshalb eine Kollision i.S.d. des Art.68 EGV Nr. 883/2004 mit dem deutschen Kindergeldanspruch nicht besteht.
- Die Kollisionsvorschrift des § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG wird durch die EGV Nr. 883/2004 und die hierzu ergangene Durchführungsverordnung EGV Nr. 987/2009 verdrängt.
- Dem Anspruch des Vaters steht die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der in Polen lebenden Kindesmutter nicht entgegen, da diese selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG nicht erfüllt und daher keine i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG anspruchsberechtigte Person sein kann.
- Art. 60 Abs. 1 Satz 2 EGV Nr. 987/2009 bezweckt nicht, einen unstreitig bestehenden Kindergeldanspruch dem Anspruchsinhaber unter Hinweis auf die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt eines nicht im Beschäftigungsland wohnenden Familienangehörigen zu versagen.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1, § 64 Abs. 2 S. 1, § 65 Abs. 1 Nr. 2; EGV Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. a, Art. 68; EGV Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger, der in Deutschland wohnt und unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, beantragte für sein Kind B, geboren am 00.10.2010 in Polen unter dem 14.1.2011 Kindergeld. Er ist in Deutschland selbständig tätig und sozialversichert. Das Kind lebte bei der Kindesmutter in Polen. Nach einer Mitteilung der polnischen Behörden war die Kindesmutter in Polen nichtselbständig beschäftigt und erhielt mangels Antragstellung keine polnischen Familienleistungen. Mit Bescheid vom 26.1.2011 lehnte die Familienkasse den Antrag ab. Hiergegen erhob der Kläger am 15.2.2011 Einspruch, den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 7.12.2011 als unbegründet zurückwies und in dem im Wesentlichen ausgeführt wurde, der Anspruch sein nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeschlossen, weil das Kind in den Haushalt der Kindesmutter aufgenommen sei, und nicht in den des Klägers.
Der Kläger hat am 6.1.2012 Klage erhoben zu deren Begründung er im Wesentlichen geltend macht, § 64 EStG sei nicht einschlägig, weil die Kindesmutter selbst keine Kindergeldansprüche geltend mache. Sie habe mit dem Kläger vereinbart, dass er das deutsche Kindergeld beziehen solle, weil er in erheblichem Maße zum Unterhalt des Kindes beitrage. Sie beziehe auch keine dem deutschen Kindergeld vergleichbaren polnischen Leistungen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 26.1.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.12.2011 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld ab Oktober 2010 für sein Kind B zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
und wiederholt die Gründe ihrer Einspruchsentscheidung.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter an Stelle des Senats entscheidet und haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Kindergeldakte.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Beklagte war zu verpflichten, dem Kläger ab Oktober 2010 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren (§ 101 Abs.1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Dem Kläger steht Kindergeld für seinen Sohn B zu.
Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, ist der Kläger nach § 62 Abs.1 Nr.1 EStG grundsätzlich anspruchsberechtigt. Das Kind ist auch nach § 63 Abs. 1 EStG trotz seines Wohnortes in Polen zu berücksichtigen, weil Polen Mitglied der Europäischen Union ist.
Dem Anspruch des Klägers steht zunächst § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht entgegen. Hiernach wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das im Ausland eine Leistung gewährt wird oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre, die dem deutschen Kindergeld vergleichbar ist. Dies Kollisionsvorschrift ist nicht anwendbar, weil auf den Kläger und die Kindesmutter die Vorschriften der ab dem 1.5.2010 anwendbaren EWGV Nr. 883/2004 und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung EWG Nr. 987/2009 anzuwenden sind und diese Vorschriften die deutsche Kollisionsvorschrift verdrängt.
Auf den Kläger ist nach Art. 11 EWGV Nr. 883/2004 ausschließlich deutsches Recht anwendbar, da er in Deutschland selbständig tätig ist (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a)). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Antikollisionsvorschrift des Art.68 EWGV Nr. 883/2004. Die hiernach geltenden Prioritätsregeln greifen nicht ein, weil ein Z...