Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme der zuerst anhängigen Klage bei doppelter Rechtshängigkeit; Doppelte Rechtshängigkeit; Klagerücknahme
Leitsatz (redaktionell)
Bei doppelter Rechtskängigkeit wächst die später erhobene Klage mit Rücknahme der früheren Klage in die Zulässigkeit hinein.
Normenkette
FGO §§ 66, 72 Abs. 2 Sätze 1-2; GVG § 17 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Rechtsanwalt “X” hat für den Kläger mit Klageschrift vom 02.03.1998, eingegangen bei Gericht am 02.03.1998, Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 erhoben. Die Klage erhielt das Az.: 17 K 1469/98 E. Der Prozessvertreter ist aufgefordert worden, bis zum 15.06.1998 Prozessvollmacht und Klagebegründung einzureichen. Mit einem weiteren Schreiben ist er vom Gericht darauf hingewiesen worden, dass in der gleichen Sache eine weitere Klage vorliege, bei der der Kläger durch einen Steuerberater vertreten werde. Dieser habe bereits eine Prozessvollmacht vorgelegt. Die Klage könne noch kostenfrei zurückgenommen werden. Der Prozessvertreter hat hierauf mit Schriftsatz vom 07.05.1998 mitgeteilt, er habe die Angelegenheit mit dem Kläger und dem weiteren Bevollmächtigten erörtert. Im Hinblick auf die zweite erhobene Klage nehme er die von ihm erhobene Klage zurück. Der Berichterstatter hat in der Folge einen Erörterungstermin anberaumt, in dem er die verfahrensrechtliche und die materiell-rechtliche Problematik des Falles mit den Beteiligten erörtert hat. Ein Einstellungsbeschluss ist in dem Verfahren bisher nicht ergangen.
Steuerberater “Q” hat für den Kläger mit Klageschrift vom 03.03.1998, eingegangen bei Gericht am 04.03.1998, ebenfalls Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 erhoben. Die Klageschrift hat das Az.: 17 K 1537/98 E erhalten. Die Klage hat eine Begründung enthalten, und es ist ihr eine Prozessvollmacht des Klägers beigefügt gewesen. Der Kläger ist aufgefordert worden, bis zum 15.06.1998 eine berichtigte Steuererklärung abzugeben. Mit einem weiteren Schreiben ist der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, es liege eine weitere von einem Rechtsanwalt erhobene Klage vor, die zeitlich vor der von ihm erhobenen Klage eingegangen sei. Die von ihm erhobene Klage erscheine deshalb wegen doppelter Rechtshängigkeit als unzulässig; sie dürfte auch im Fall der Rücknahme der anderen Klage nicht zulässig werden. Der Berichterstatter hat die verfahrensrechtliche und die materiell-rechtliche Problematik des Falles mit den Beteiligten erörtert und angeregt, nach einer materiellen Lösung zu suchen. Der Beklagte hat sich allerdings zu einer materiellen Lösung nicht in der Lage gesehen, sondern eine vorherige Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit der Klage als notwendig angesehen.
Der Kläger meint, die von Rechtsanwalt “X” ohne Prozessvollmacht eingereichte Klage erfülle nicht den Sachverhalt der doppelten Rechtshängigkeit.
Der Kläger beantragt,
in einem Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage als unzulässig abzuweisen.
Er meint, mit der Erhebung der Klage durch Rechtsanwalt “X” sei die Streitsache rechtshängig geworden. Diese Rechtshängigkeit bewirke, dass die Streitsache bei keinem anderen Gericht anhängig gemacht werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
I. Die Klage ist nicht wegen doppelter Rechtshängigkeit nach § 66 FGO unzulässig.
1. Nach § 66 FGO wird durch Erhebung der Klage die Streitsache rechtshängig. Diese Rechtshängigkeit löst nach § 155 FGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG eine Sperrwirkung aus. Eine Klage mit demselben Streitgegenstand gegen dasselbe Finanzamt ist unzulässig. Dabei ist grundsätzlich unerheblich, ob die erste Klage zulässig ist oder nicht (Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 66 FGO Rdn. 17; FG Düsseldorf, Urteil vom 14.01.1983 - VI 554/82 A (G), Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1983, 418, 419; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 18.12.1996 - II 997/96, EFG 1997, 548, 549).
Zweifelhaft ist, ob diese Sperrwirkung auch eintritt, wenn in dem ersten Verfahren die Klage von einem Prozessvertreter ohne Prozessvollmacht erhoben worden ist und feststeht, dass in diesem ersten Verfahren keine Vollmacht vorgelegt werden kann. Der BFH geht für diesen Fall anscheinend davon aus, dass dann der Weg frei ist für eine Sachentscheidung im zweiten Verfahren (BFH-Urteil vom 17.10.1973 - II R 166/71, BStBl II 1974, 218 zu 3 a, aa). Diese Frage kann im Streitfall aber unentschieden bleiben.
2. Das Verfahrenshindernis der doppelten Rechtshängigkeit ist jedenfalls mit der Rücknahme der ersten Klage entfallen. Die zweite Klage ist in die Zulässigkeit hineingewachsen.
Die Rücknahme der ersten Klage hat die Wirkung, dass die Rechtshängigkeit von Anfang an rückwirkend beseitigt wird (BFH-Beschluss vom 03.08.1978, VI R 73/78, BStBl II 1978, 649, 650; Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO, Rdn. 21). Der Einstellungsbeschluss hat nur deklaratorische Wirkung.
Damit ist die doppelte Rechtshängigkeit beseitigt. Da die (negati...