Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis trotz Null-Festsetzung und Verbot eines Verlustrücktrags bei bestehender Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (redaktionell)
1) Ausnahmsweise kann eine Null-Festsetzung in einem Einkommensteuerbescheid eine Rechtsverletzung auslösen, wenn die Festsetzung sich bei der gleichen Steuerart für spätere Steuerabschnitte oder bei einer anderen Steuerart zu Ungunsten auswirkt. Dabei genügt es, wenn zukünftige Nachteile mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten können.
2) Führt das Finanzamt während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahren gegen einen Einkommensteuerbescheid einen Verlustrücktrag durch, mit der Folge, dass die Steuerfestsetzung nach Rücktrag auf 0 DM lautet, liegt - weiterhin - eine Beschwer bzw. Klagebefugnis des Steuerpflichtigen trotz Null-Festsetzung vor, da ihm sonst die Möglichkeit genommen würde, den Verlust für spätere Veranlagungszeiträume zu seinen Gunsten zu nutzen.
3) Ist ein Einkommensteuerbescheid von der Vollziehung ausgesetzt, ist insoweit auch die Änderung des Bescheids zur Durchführung eines Verlustrücktrags nicht zulässig.
Normenkette
FGO § 69; EStG § 10d; FGO § 40 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger (Kl) wird mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Für das Streitjahr 1991 wurde mit Bescheid vom 5. Dezember 1995 die Einkommensteuer auf …. DM festgesetzt. Aufgrund eines Einspruchs gegen den Grundlagenbescheid 1991 betreffend die „A – KG” – der Kl war Gesellschafter dieser zwischenzeitlich in Konkurs gefallene KG gewesen – setzte der Beklagte (Bekl) mit Bescheid vom 5. Dezember 1995 die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1991 gemäß § 361 AO bis auf einen geringfügigen Betrag aus. In dem Bescheid ist ausgeführt, daß die Aussetzung der Vollziehung einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den am 15. September 1994 eingelegten Einspruch gegen den Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) 1991 endet.
Nach Feststellung weiterer Verluste für die KG in 1993 (Feststellungsbescheid – Grundlagenbescheid – 1993 vom 2. Oktober 1997) änderte der Bekl mit Bescheid vom 10. November 1997 den – von der Vollziehung ausgesetzten – Einkommensteuerbescheid 1991 vom 5. Dezember 1995 gem. § 10 d Abs. 1 Satz 2 EStG die festgesetzte Einkommensteuer beträgt hiernach 0,00 DM. Den dagegen eingelegten Einspruch wies der Bekl mit der Begründung als unzulässig zurück, daß der Kl durch den Änderungsbescheid nicht beschwert sei.
Mit der vorliegenden Klage macht der Kl im wesentlichen folgendes geltend:
Grundsätzlich sei die Frage, ob eine Beschwer vorliege, jeweils getrennt für den Veranlagungszeitraum zu bestimmen. Dies gelte jedoch dann nicht, wenn durch die Festsetzung Entscheidungen getroffen würden, die auch für andere Veranlagungszeiträume maßgeblich sein könnten (Klein/Orlopp, AO-Kommentar, 5. Auflage, § 350 Abschnitt 5). Ob eine Beschwer vorliege, dürfe demzufolge nicht gesondert auf Grundlage des Veranlagungszeitraums 1991, sondern müsse im Gesamtzusammenhang gesehen werden. Es liege somit eine verkürzte Darstellung vor, wenn man – wie der Beklagte – lediglich darauf abstelle, daß die Änderung der zuvor festgesetzten Steuerschuld wegen der Verrechnung mit den Verlustrückträgen zu einem Wegfall der Steuerbelastung führe. Daß dies ihn – den Kl – nicht beschwere, möge zwar auf den ersten Blick zutreffen; hierbei werde aber verkannt, daß durch einen möglicherweise zu hohen Verlustrücktrag im Jahre 1991 die Geltendmachung von Verlusten in anderen Veranlagungszeiträumen abgeschnitten werde.
Im übrigen verkenne der Bekl, daß vorliegend kein Erst-, sondern ein Änderungsbescheid in Frage stehe. Für den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1991 sei Aussetzung der Vollziehung gewährt worden, weil rechtliche Zweifel an der festgesetzten Steuer bestanden hätten. Diese Zweifel seien durch die „Verrechnung” nicht ausgeräumt worden. Insbesondere sei es auch fraglich, ob eine „Verrechnung” wegen der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung überhaupt durchgeführt werden dürfe. Solange die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts bestehe, dürften für die Zukunft weder unmittelbare noch mittelbare tatsächliche oder rechtliche Folgen aus dem Verwaltungsakt gezogen werden.
Die Verrechnung komme daher einer Vollstreckung gleich, die durch die Aussetzung der Vollziehung gerade verhindert werden solle. Dem stehe auch nicht entgegen, daß in § 10 d Abs. 1 Satz 2, 3 EStG eine selbständige Korrekturvorschrift gesehen werde, die auch bei rechtskräftigen Verwaltungsakten Anwendung finde. Denn das Argument, daß die materielle Richtigkeit der Verwaltungsakte der Rechtssicherheit vorgehe, greife vorliegend gerade nicht. Denn bei einem rechtskräftigen Verwaltungsakt liege bereits eine endgültige, das heißt bereits überprüfte Rechtslage vor. Hiervon sei vorliegend jedoch nicht auszugehen, da noch nicht einmal über den Einspruch des Klägers gegen den Ursprungsbescheid entschieden worden sei. Es sei so...