Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei unklarer Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung und bei Klageerhebung in fremder Sprache. Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren durch Austausch der Begleitpapiere zweifelhaft. Aussetzung der Vollziehung in Sachen Branntweinsteuer
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird einem italienischen Abgabenschuldner der Bescheid nebst Rechtsbehelfsbelehrung sowohl in deutsch wie auch in italienisch übermittelt, und vermittelt die italienische Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung den Eindruck, die rechtzeitige Absendung des Einspruchs genüge – wie in der italienischen Rechtsordnung – zur Wahrung der Rechtsbehelfsfrist, so ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das verspätet eingangene Einspruchsschreiben ausweislich des Poststempels vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist abgesandt worden ist.
2. Die Belehrung darüber, dass die Klage in deutscher Sprache zu erheben ist, stellt keine Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist dar. Das Fehlen dieses Hinweises hat aber zur Folge, dass die Rechtsmittelbelehrung nicht ordnungsgemäß ist und kann bei rechtzeitiger Klageerhebung in einer fremden Sprache ein Wiedereinsetzungsgrund sein.
3. Ausführungen zu der Frage, wann im Hinblick auf die Sprachschwierigkeiten und das Erfordernis der Beauftragung eines deutschen Rechtsbeistands die Zweiwochenfrist für die Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung begonnen hat.
4. Ernstlich zweifelhaft ist, ob der bloße Austausch der Begleitpapiere zum Entstehen einer Steuerschuld wegen Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren führt, wenn feststeht, dass die alkoholischen Erzeugnisse ohne Verschlussverletzung tatsächlich ausgeführt worden sind und dass weder die Besitzverhältnisse noch die Ware oder die Transportbehältnisse ausgetauscht oder verändert wurden.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1 S. 1, § 355 Abs. 1 S. 1; FGO § 56 Abs. 1, 2 S. 1, § 47 Abs. 1, § 55 Abs. 1, 2 S. 1, § 69 Abs. 3; BranntwMonG § 143 Abs. 1 S. 3; EWGRL 12/92 Art. 6 Abs. 1
Tenor
1. Die Vollziehung des Steuerbescheids vom 06. Mai 1999 wird in voller Höhe für die Dauer des Klageverfahrens ausgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Tatbestand
I.
Streitig ist im Hauptsacheverfahren, ob und in welcher Höhe in der Person der Antragstellerin (AStin) für Branntwein im Rahmen des Steueraussetzungsverfahrens Branntweinsteuer entstanden ist.
Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 2000, die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Die AStin beantragt
die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids vom 6. Mai 1999 wegen ernsthafter Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit.
Der Antragsgegner (Hauptzollamt – HZA –) beantragt
die Ablehnung des Antrags.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Voraussetzung für die Prüfung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids im gerichtlichen Verfahren ist, daß dieser nicht bestandskräftig ist, d.h. daß dieser noch mit einem zulässigen Rechtsbehelf angefochten werden kann. Das wäre nicht der Fall, wenn die von der AStin erhobene Klage (Az. 3 K 3548/00) unzulässig wäre, aber auch, wenn der Einspruch gegen den Steuerbescheid vom HZA zur Recht als unzulässig verworfen worden wäre.
a) Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung – AO – ist der Einspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 1 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids einzulegen. Der angefochtene Bescheid vom 6. Mai 1999 wurde der AStin am 16. Dezember 1999 bekanntgegeben. Die Frist begann am 17. Dezember 1999 und endete mit Ablauf des 17. Januar 2000 (§ 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187 Abs. 1 und 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –).
Der Einspruch der AStin ging zwar erst am 19. Januar 2000 beim HZA ein. Damit war die Rechtsbehelfsfrist gegen den Steuerbescheid vom 6. Mai 1999 abgelaufen. Der AStin ist jedoch auf ihren Antrag vom 13. Januar 2000 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO), weil sie die Einspruchsfrist unverschuldet versäumt hat. Es ist anerkannt, daß auch ein entschuldbarer Rechtsirrtum über den Ablauf der Rechtsbehelfsfrist die Wiedereinsetzung rechtfertigen kann (BFH V 50/54 U, BStBl 1954 III S. 290).
Im Streitfall befand sich die AStin bei Einlegung des Einspruchs in einem Irrtum über den Lauf der Rechtsmittelfrist, weil sie davon ausging, daß die Zeit der Postbeförderung in den Lauf der Frist nicht eingerechnet wird. Ein derartiger Irrtum begründet dann Nachsicht, wenn er einen Irrtum über die Berechnung der Frist zur Folge hat und sich aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, daß kein Verschulden der AStin vorliegt. Zwar muß grundsätzlich von einem Ausländer erwartet werden, daß er sich über die Verfahrensvorschriften des Staates, in dem er sich wirtschaftlich betätigt, unterrichtet. Eine Ausnahme wird aber dann anerkannt, wenn der Wortlaut der Verfahrensvorschriften beider Staaten so weitgehend übereinstimmt, daß sich der ausländischen...