rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abruf der beim Bundeszentralamt für Steuern gespeicherten Adressdaten des Vollstreckungsschuldners durch die Erhebungsstelle des Finanzamts als zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung führende Wohnsitzermittlung im Sinne des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO, auch bei Kenntnis der zutreffenden Anschrift in einer anderen Arbeitseinheit der Vollstreckungsstelle
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist der Bearbeiterin der Vollstreckungsstelle die aktuelle Anschrift des Steuerpflichtigen nicht bekannt, so handelt es sich bei dem Abruf der beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) gespeicherten Adressdaten des Vollstreckungsschuldners durch die Erhebungsstelle des Finanzamts gemäß § 93 Abs. 7 in Verbindung mit § 93b AO um eine Wohnsitzermittlung im Sinne des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO, die zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung führt. Das gilt auch dann, wenn zwar einem organisatorisch zu einem anderen Sachgebiet mit einem anderen Sachgebietsleiter gehörenden anderen Bearbeiter der Vollstreckungsstelle im Zusammenhang mit einer anderen gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Vollstreckungsangelegenheit bereits die aktuelle Geschäftsadresse sowie eine zutreffende inländische Kontaktadresse des Steuerpflichtigen bekannt sind, zwischen den Sachgebieten aufgrund räumlicher und organisatorischer Trennung aber kein Informationsaustausch stattfindet.
2. Die Verjährungsunterbrechung setzt unter anderem eine nach außen wirkende Maßnahme voraus; rein innerdienstliche Maßnahmen reichen nicht. Maßgebend ist allein, dass das Finanzamt den Entschluss fasst, seinen Zahlungsanspruch durchzusetzen und dies über den rein innerdienstlichen Bereich hinaus nach außen sichtbar wird. Mit der Einschaltung des BZSt als Bundesoberbehörde (§ 1 Nr. 1 FVG) hat das Finanzamt als örtliche Landesfinanzbehörde den rein innerdienstlichen Bereich nach außen sichtbar verlassen. Dem Erfordernis, dass für den Betroffenen aus Gründen der Rechtssicherheit mit der erforderlichen Klarheit feststellbar sein muss, ob der Zahlungsanspruch bereits durch Verjährung erloschen ist oder ob er – wegen Unterbrechung der Verjährung – weiterhin zur Leistung verpflichtet ist, ist damit ersichtlich Genüge getan. Insoweit ist der Abruf der Adressdaten beim BZSt einer EMA-(Online)-Anfrage bei einer städtischen Behörde gleichzusetzen.
Normenkette
AO § 231 Abs. 1 S. 1 Nrn. 7, 3, 8, Abs. 3, § 93 Abs. 7, §§ 93b, 218 Abs. 2, § 139b Abs. 3 Nr. 10, §§ 228, 229 Abs. 1 S. 1, § 173 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob entgegen der Feststellung des streitgegenständlichen Abrechnungsbescheids vom … 2016 rückständige Steuern und Nebenleistungen i.H.v. insgesamt … EUR zum Stichtag … 2016 (Steuerrückstände 2016) durch Zahlungsverjährung erloschen sind.
Der Beklagte, das … (…; – Finanzamt –) ist bereits seit jedenfalls dem Jahr 2006 mit Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger befasst. Nach Aktenlage erging am … 2009 eine an den damaligen inländischen Bevollmächtigten des Klägers adressierte Vollstreckungsankündigung des Finanzamts (damals: …) über bereits einen erheblichen Teil der Steuerrückstände 2016 (i.H.v. insgesamt … EUR); als Adresse des Klägers wurde hierbei … (Adresse CM), aufgeführt.
An diese Adresse CM war der Kläger nach einer Melderegisterabfrage des Finanzamts vom … 2010 (wie auch nach Angaben seines damaligen inländischen Bevollmächtigten) aus dem Inland (…) verzogen. Im Jahr 2010 an den Kläger unter der Adresse CM versandte Schreiben des Finanzamts
- • vom … (mit Rückschein) mit einer Rückstandsaufstellung i.H.v. insgesamt … EUR und Zahlungsaufforderung sowie
- • vom … mit einer Ausfertigung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom … (nunmehr zuständige Sachbearbeiterin: …)
kamen jedoch jeweils (am … bzw. am …) mit dem Vermerk „unbekannt” zurück. Ein an den Kläger unter der Adresse CM versandtes Schreiben des Finanzamts vom … mit einer Ausfertigung einer weiteren Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom … wurde nicht an das Finanzamt zurückgeschickt.
Mit Niederschlagungsverfügung des Finanzamts vom … 2010 erfolgte eine Niederschlagung der Steuerrückstände des Klägers mit Überwachung der Zahlungsverjährung (nach Aktenlage unstreitig) mit Ablauf des Jahres 2015 (§§ 228, 229 Abs. 1 Satz 1, § 231 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3, 7 und 8 sowie Abs. 3 Abgabenordnung – AO –).
Auf eine an den Kläger unter der Adresse …(Adresse RM), adressierte Vollstreckungsankündigung des Finanzamts (zuständiger Sachbearbeiter: … – W –, …) vom … 2015 (Vollstreckungsankündigung 2015) betreffend rückständige Finanzgerichtskosten fand am …2015 eine telefonische Erörterung statt, im Rahmen derer der Kläger gegenüber W die c/o-Adresse … (Adresse B), als Kontaktadresse benannte. Mit Schreiben vom … an W beantragte der Kläger (unter Angabe der Adresse RM als Absenderadresse) ...