Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt des Entstehens eines Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG. Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums steuerlich ausreichend. Berücksichtigung von Kursveränderungen. Verzugszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG ist in dem Zeitpunkt entstanden, zu dem der Erwerber nach der vertraglichen Vereinbarung ein Anwartschaftsrecht auf die veräußerten Anteile erhält, wenn nicht das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen weiterhin beim Veräußerer verbleibt.
2. Steuerlich ist die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums gemäß § 39 AO ausreichend, auch wenn die Anteilsübertragung gesellschaftsrechtlich eine Genehmigung der Gesellschaft erfordert und diese erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.
3. Der Veräußerungsgewinn ist auf den Zeitpunkt zu ermitteln, zu dem er entstanden ist. Besteht das Entgelt für die veräußerten Anteile in börsennotierten Anteilen, so bestimmt sich der Veräußerungspreis insoweit nach dem Kurswert der Aktien bei Entstehen des Anspruchs auf Übereignung. Der Kurswert bei tatsächlicher Übertragung ist ohne Bedeutung. Insbesondere liegt in einer Kursveränderung zwischen der Anteilsveräußerung und der Erfüllung der Kaufpreisforderung kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das Einfluss auf die Höhe des Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG hätte.
4. Die aufgrund der verspäteten Kaufpreiszahlung entrichteten Verzugszinsen stellen Einkünfte aus Kapitalvermögen dar, die im Jahr des Zuflusses steuerlich zu berücksichtigen sind.
Normenkette
EStG 2002 § 17; AO § 39 Abs. 2 Nr. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BewG 1991 § 9 Abs. 2; GmbHG § 17
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Zeitpunkt und Höhe eines im Jahr 2002 erzielten Veräußerungsgewinns nach § 17 Einkommensteuergesetz (EStG).
Der Kläger erzielte im Streitjahr als Operator/Geschäftsführer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung und wurde mit der Klägerin vom Finanzamt (FA) M (Beklagter) zur Einkommensteuer (ESt) zusammenveranlagt. In ihrer ESt-Erklärung 2002 erklärten die Kläger u.a. einen dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG i.H.v. 265.141 EUR. Im unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) stehenden ESt-Bescheid vom 30. Juli 2004 berichtigte das FA die Höhe der Anschaffungskosten, veranlagte einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 289.103 EUR und setzte die Steuer mit 239.837 EUR fest.
Im Rahmen einer bei den Klägern durchgeführten betriebsnahen Veranlagung (BNV) zur Feststellung des Veräußerungsgewinns 2002 traf die Prüferin folgende Feststellungen:
Mit notariellem Vertrag vom 7. August 1998, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, veräußerten die beiden Anteilseigner der X&Y GmbH in B, sämtliche Geschäftsanteile an die D-Holding GmbH in S. Die Beteiligung des Klägers betrug 45%. Die Übertragung der Anteile sollte sich ausweislich des Vertrags in drei Tranchen zum 30. Juni 1998 (82% des Stammkapitals), zum 31. Dezember 2000 (9% des Stammkapitals) sowie zum 31. Dezember 2002 (9% des Stammkapitals) vollziehen. Die Genehmigung seitens der Gesellschaft nach § 17 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) erfolgte am selben Tag.
Nach vertragsgemäßer Übertragung der ersten Tranche im Jahr 1998 wurde aufgrund eines notariellen Nachtrags vom 22. Dezember 2000, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, die Vorurkunde einvernehmlich dahingehend abgeändert, dass nicht mehr ein getrennter Verkauf der 2000er Anteile und der 2002er Anteile erfolgen sollte, sondern lediglich ein einheitlicher Verkauf der noch im Eigentum der Verkäufer stehenden sogenannten neuen 2002er Anteile.
Gemäß § 2.4 der Nachtragsurkunde erfolgte der Verkauf wirtschaftlich zum 1. Januar 2002. Die neuen 2002er Anteile wurden mit allen Nebenrechten, einschließlich der Gewinnbezugsrechte für nicht ausgeschüttete Gewinne für frühere Geschäftsjahre und der Gewinnbezugsrechte ab dem Geschäftsjahr 2002 verkauft. Nach § 4.5 der Nachtragsurkunde wurden die Anteile mit Wirkung vom 1. Januar 2002 übertragen. Aufschiebende Bedingung der Übertragung der neuen 2002er Anteile war, dass die Verkäufer entweder eine Garantieerklärung der Muttergesellschaft der Käuferin über den zweiten Kaufpreis erhalten haben oder der zweite Kaufpreis vollständig erbracht worden ist.
Der sogenannte zweite Kaufpreis betrug nach § 5.2.1 der Urkunde 18 % des 10,5-fachen durchschnittlichen Jahresgewinns der Gesellschaft nach Steuern bei unterstellter Vollausschüttung in den Geschäftsjahren 1999 bis 2001. Der jährliche Gewinn der Gesellschaft sollte dabei den Anteil der Gesellschaft am Jahresgewinn ...