Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Reichweite des § 27 Abs. 19 UStG
Leitsatz (redaktionell)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 27 Abs. 19 UStG zur Suspendierung des § 176 Abs. 2 AO führt, wenn die Umsatzsteuerjahresfestsetzungen vor Erlass des BFH-Urteils vom 22.8.2013 - V R 37/10, BStBl. II 2014, 128 ergangen sind (Rückwirkungsverbot).
Normenkette
UStG § 27 Abs. 19; AO § 176 Abs. 2; UStG § 13b Abs. 5; GG Art. 20 Abs. 3; FGO § 69
Nachgehend
Tatbestand
I. Streitig ist für die Jahre 2011-2013 die Inanspruchnahme der Antragstellerin gemäß dem durch das Kroatien-Steuerrechtsanpassungsgesetz vom 25.7.2014, BStBl I, 1126 eingefügten und am 31.7.2014 in Kraft getretenen § 27 Abs. 19 UStG.
Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist die Ausführung, Lieferung und Verlegung von Estrich, Parkett, Laminat, Teppichböden usw. In den Streitjahren 2011-2013 erbrachte sie unter anderem Leistungen an andere Unternehmer. In Ihren Rechnungen an die unternehmerischen Leistungsempfänger berechnete sie die Nettoentgelte und wies darauf hin, dass die Umsatzsteuer i.H.v. 19 % gemäß § 13 b UStG der Auftraggeber schulde.
Die Antragstellerin gab ihre Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre wie folgt ab:
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2011 |
2012 |
2013 |
Abgabezeitpunkt |
5.9.2012 |
29.5.2013 |
5.12.2014 |
erklärte USt |
22.935,86 € |
- 3.919,20 € |
- 10.333,85 € |
Der Antragsgegner verarbeitete die Umsatzsteuererklärung 2011 erklärungsgemäß und stimmte den Erklärungen für 2012 und 2013 jeweils zu.
Nach Ergehen des BFH-Urteils vom 22.8.2013, V R 37/10, BStBl II 2014,128, mit dem der BFH entschieden hat, dass die Anwendung des § 13 b UStG EU-rechtskonform auf solche bauwerksbezogene Leistungen zu beschränken ist, die der Leistungsempfänger seinerseits zur Erbringung eigener bauwerksbezogener Leistungen verwendet, machten Bauträgerunternehmen, an die die Antragstellerin Leistungen erbracht hatte, Steuererstattungsansprüche geltend. Die Bauträgerunternehmen meinten, sie seien keine Steuerschuldner gemäß § 13 b UStG.
Der Antragsgegner führte bei der Antragstellerin zwei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen für 2011 und 2012 bis II. Quartal 2014 durch. Die Prüferin minderte die bisherigen Umsätze der Antragstellerin gemäß § 13 b UStG nach Maßgabe der von den jeweiligen Bauträgern geltend gemachten Erstattungen und erhöhte dementsprechend die Umsätze der Antragstellerin zu 19 %. Dabei behandelte die Prüferin die Umsatzerhöhungen zu 19 % als Bruttobeträge. Weitere Prüfungsfeststellungen wurden nicht getroffen. Es wird wegen der Einzelheiten auf die Außenprüfungsberichte vom 17.3.2015 verwiesen.
Der Antragsgegner erließ nach Maßgabe der oben genannten Umsatzsteuer-Sonderprüfungsberichte Umsatzsteuer-Änderungsbescheide vom 3.6.2015 (für 2011 und 2012) und 22.5.2015 für 2013. Die Umsatzsteuer 2011 wurde auf 25.638,49 €, die Umsatzsteuer 2012 auf 33.244,23 € und die Umsatzsteuer 2013 auf 34.945,70 € festgesetzt.
Dagegen legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren ruht im Hinblick auf die beim FG Münster anhängigen Verfahren 15 K 1550/15 U, 15 K 1551/15 U und 15 K 1553/15 U. Den gleichzeitig mit der Einspruchseinlegung von der Antragstellerin gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 25.6.2015 ab. Dagegen legte die Antragstellerin am 26.6.2015 Einspruch ein. Mit Schreiben vom 9.7.2015 teilte der Antragsgegner mit, dass der Einspruch gegen die Ablehnung der AdV als unbegründet zurückzuweisen sei und stellte einen Antrag an das Gericht anheim.
Am 9.7.2015 beantragte die Antragstellerin AdV bei Gericht. Sie meint, sie genieße Vertrauensschutz, denn sie habe sich in den Streitjahren an die damals geltenden Verwaltungsanweisungen (Abschn. 13 b.3 UStAE) gehalten. Daher habe sie zu Recht Netto-Rechnungen erteilt und keine Umsatzsteuer auf ihre erbrachten Leistungen an die Bauträger berechnet. Ihre nachträgliche Heranziehung als Steuerschuldnerin verstoße gegen § 176 Abs. 2 AO. § 27 Abs. 19 S. 2 UStG sei wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot nichtig.
Der Vertrauensschutzgedanke des § 176 Abs. 2 AO gelte auch für das Streitjahr 2013. Maßgeblich für das Vertrauen der Antragstellerin sei nicht die Abgabe ihrer Umsatzsteuererklärung, sondern der Abschluss der Werkverträge bzw. der Zeitpunkt der Rechnungsstellung. Bis zum 15.2.2014 habe die Antragstellerin nach Maßgabe der deutschen Gesetze und Verwaltungsanweisungen gar nicht anders abrechnen können, als sie es getan habe.
Die ab dem 15.2.2014 geltenden neuen Regelungen entfalteten eine „echte Rückwirkung”, da bereits abgeschlossene Vorgänge (abgerechnete Bauvorhaben) betroffen seien. Als abgeschlossener Tatbestand seien nicht die Steuererklärung oder ein Bescheid anzusehen, sondern die Bauverträge bzw. Abrechnungen.
Der Antragsgegner habe inzwischen für nach dem 15.2.2014 abgerechnete Baustellen, bei denen die Antragstellerin im Jahr 2013 Anzahlungen erhalten habe, das Verfahren nach § 27 Abs. 19 S. 3 UStG angeboten. Hier...