Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung; Besteuerung des Betriebs von Geldspielautomaten in Spielhallen
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet es insbesondere, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.
2. Für den sogenannten Durchschnittsverbraucher, dem es auf das Spielerlebnis und den erzielbaren Gewinn ankommt, dürfte es - jedenfalls bei summarischer Prüfung - keine Rolle spielen, ob er virtuell oder terrestrisch spielt.
Normenkette
MwStSystRL Art. 135 Abs. 1 Buchst. i; UStG § 4 Nr. 9 Buchst. b
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist die Besteuerung des Betriebs von Geldspielautomaten in Spielhallen.
Die Antragstellerin betreibt Spielhallen, in denen Glücksspiel mit Geldspielautomaten betrieben wird. Bei der Abgabe ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für August 2021 vertrat sie in einem beigefügten Schreiben vom 17.09.2021, auf das wegen des Inhalts verwiesen wird (USt-Akte Bl. 36), die Auffassung, ihre Glücksspielumsätze seien gemäß Art. 135 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) steuerfrei. Der Antragsgegner setzte mit Bescheid vom 06.10.2021 über Umsatzsteuervorauszahlung für August 2021 die Umsatzsteuer auf … € fest, was zu einem Nachzahlungsbetrag von … € führte. Dagegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Über den Einspruch ist noch nicht entschieden. Den AdV-Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 28.10.2021 ab.
Mit Schriftsatz vom 02.11.2021 beantragte die Antragstellerin AdV bei Gericht, den sie wie folgt begründet:
Die Antragstellerin werde seit dem Inkrafttreten des Staatsvertrags zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland vom 29.10.2020 (Glücksspielstaatsvertrag 2021 – GlüStV –) zum 01.07.2021 gegenüber den seit diesem Zeitpunkt gemäß § 22a GlüStV erlaubten virtuellen Automatenspielen im Internet hinsichtlich der Mehrwertsteuer und damit hinsichtlich gleichartiger und deshalb mit der Antragstellerin im Wettbewerb stehender Dienstleistungen benachteiligt. Die virtuellen Automatenspiele seien in den §§ 36 ff des Rennwett- und Lotteriegesetzes vom 25.06.2021 (RennwLottG) geregelt. Gemäß § 4 Nr. 9 Buchstabe b Umsatzsteuergesetz (UStG) seien die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fielen, von der Umsatzsteuer befreit. In dieser Befreiung des virtuellen Automatenspiels liege eine Verletzung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes zu Lasten der Antragstellerin. Bei den virtuellen Automatenspielen handele es sich um die gleichen Spiele, wie diejenigen, die in den Spielhallen der Antragstellerin angeboten würden. Geldspielautomaten gehörten sämtlich derselben Kategorie von Glücksspielen an (EuGH, Urteil vom 10.11.2011 – C-259/10, C-260/10, juris, Rn. 55). Auch die Europäische Kommission sei der Auffassung, dass es sich bei virtuellen Automatenspielen gegenüber den terrestrischen Angeboten um die gleiche Glücksspielform handele. Im Beschluss der Kommission vom 20.09.2011, Az. C (2011) 6499, Amtsblatt der Europäischen Union L 86/3 (Gerichtsakte Bl. 51ff), stelle diese fest:
„(87) Trotz einer Reihe von objektiven Unterschieden zwischen Online- und herkömmlichen Glücksspielanbietern (wie die physische Anwesenheit gegenüber der Online-Präsenz) ist die Kommission der Auffassung, dass die vorgenannten Unterschiede zwischen Online- und herkömmlichen Glücksspielkasinos nicht hinreichend sind, um eine wesentliche und ausschlaggebende rechtliche und tatsächliche Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Unternehmen zu erkennen. (88) Dazu stellt die Kommission fest, dass die von herkömmlichen und Online-Glücksspielanbietern angebotenen Spiele gleichzustellen sind. Die von beiden, nämlich Online- und herkömmlichen Anbietern angebotenen Spiele, das heißt u. a. Roulette, Bakkarat, Punto Banco, Blackjack, Poker und Spiele an Spielautomaten, gehören unabhängig von ihrer Online- oder herkömmlichen Verortung derselben Glücksspielaktivität an. Deshalb erscheinen aus technischer Sicht online angebotene und an herkömmlichen Stätten angebotene Kasinospiele hinsichtlich der technologischen Plattformen, Beschreibungen, Formate und Parameter vergleichbar.”
Deshalb könne es in Bezug auf die steuerliche Behandlung keinen Unterschied machen, ob das Spiel an den terrestrisch betriebenen Geldspielautomaten in Spielhallen, wie sie die Antragstellerin betreibe oder an virtuellen Geldspielautomaten über das Internet angeboten werde. Insbesondere seien die auch schon von der Kommission erkannten erheblichen Bemühungen seitens der Online-Casinos zu nennen, den Online-Spielern durch Stimulierung des herkömmlichen Kasinoerlebnisses das Gefühl zu vermitteln, sie spielten in einer herkömmlichen Kasino-Stätte und nicht in virtueller Umgebung. Derartige Versuche der Online-Casinos seien im ...