Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer 1991
Tenor
Der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1991 vom 19.11.1992 und die Einspruchsentscheidung vom 18.01.1993 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Ehe des Klägers (Kl.) mit der Beigeladenen ist durch Urteil des Amtsgerichts … (Az. 14 F 175/91) am 23. Dezember 1982 geschieden worden. Aus dieser Ehe sind die am … geborene Tochter … und der am … geborene Sohn … hervorgegangen. Die Tochter … lebte im Streitjahr 1991 als Studentin in … Der Sohn … war im Streitjahr noch in Schulausbildung und lebte bei seiner Mutter, der Beigeladenen, in …
Aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts … vom 23. Dezember 1982 ist der Kl. verpflichtet, den beiden Kindern Unterhalt zu zahlen. Demgemäß gewährte er im Streitjahr dem Sohn … monatliche Unterhaltsleistungen in Höhe von 820 DM. Der der Beigeladenen geleistete Unterhalt belief sich auf monatlich 704 DM.
In der Einkommensteuer (ESt)-Erklärung für das Streitjahr beantragte der Kl. den jeweils vollen Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 4 Einkommensteuergesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) für beide Kinder. Dem kam der Beklagte (Finanzamt) im ESt-Bescheid vom 26. März 1992 nach. Mit Schreiben vom 06. Oktober 1992 teilte das für die Beigeladene zuständige Finanzamt … dem Finanzamt … mit:
„Nach dem hier vorliegenden Urteil des Amtsgerichtes … vom 27.06.1989 ist allein der Vater zu Unterhaltszahlungen verpflichtet worden. Diesen Unterhaltszahlungen ist er im Jahr 1991 nachgekommen. Einer Übertragung der Kinder- und Ausbildungsfreibeträge auf den Vater hat die hier geführte Stpfl. nicht zugestimmt. Folglich ist je 1/2 Kinder- und Ausbildungsfreibetrag bei Frau … und Herrn … zu berücksichtigen. Die Tochter … lebt in … der Sohn … bei der Mutter in …”
Im „nach § 174 AO” geänderten Bescheid vom 19. November 1992 gewährte das Finanzamt daraufhin dem Kl. für den Sohn … nur den halben Kinderfreibetrag in Höhe von 1.512 DM. Der Kl. legte dagegen Einspruch ein, der jedoch erfolglos blieb.
Mit seiner Klage macht der Kl. weiterhin die Übertragung des halben Kinderfreibetrags für seinen Sohn … nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG geltend. Er trägt im wesentlichen vor:
Die Beigeladene sei ihrer Unterhaltsverpflichtung bis zur Volljährigkeit des Sohnes am 19. Januar 1991 durch „Betreuung” nachgekommen. Das Unterhaltsrecht bestimme in § 1606 Abs. 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuungsleistungen für minderjährige Kinder. Dafür, daß der Gesetzgeber dies auch für volljährige Kinder grundsätzlich angewandt wissen wolle, gebe es keinen Hinweis. Nach Volljährigkeit des Sohnes bestreite er den Barunterhalt zu mehr als 75 v. H.
Der Kl. beantragt,
den Änderungsbescheid vom 19. November 1992 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 1993 aufzuheben.
Das Finanzamt und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Das Finanzamt macht geltend:
Auch nach der Volljährigkeit eines Kindes sei für eine gewisse Zeit von der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Naturalunterhalt auszugehen. Allein durch die Volljährigkeit eines Kindes änderten sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Im übrigen bestehe der Unterhalt durch die Beigeladene nicht allein in der Betreuungsleistung. Sämtliche allgemeinen Kosten des Wohnbereichs entfielen zu 50 v. H. auf den Sohn. Insgesamt beliefen sich die der Beigeladenen entstandenen Aufwendungen für den Sohn auf 390,90 DM monatlich. Dies entspreche 32,3 v.H. des monatlichen Unterhalts, wobei noch keinerlei Betreuungsleistungen berücksichtigt worden seien. Das bedeute, daß der Kl. seiner Unterhaltsverpflichtung nicht zu mehr als 75 v.H. nachgekommen sei.
Durch Beschluß des Senats vom 06. Juni 1994 ist die geschiedene Ehefrau des Kl. zum Verfahren beigeladen worden. Sie trägt vor:
Sie sei ihrer Unterhaltsverpflichtung durch Gewährung von Pflege und Erziehung im Streitjahr voll umfänglich nachgekommen. Daneben habe sie beiden Kindern noch Barunterstützung gewährt. Zum Beweis bezieht sie sich auf das Zeugnis des Sohnes …
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Es kann dahinstehen, ob das Finanzamt zum Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheides Verfahrensrechtlich befugt war. Denn die Voraussetzungen für die Übertragung des halben Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG liegen vor.
1. Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der Fassung der Bekanntmachung zum 07. September 1990 (Bundesgesetzblatt I 1990, Seite 1898; BStBl. I 1990, Seite 453) wird ein Kinderfreibetrag von 1.512 DM für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen vom Einkommen abgezogen. Abweichend davon wird bei einem unbeschränkt einko...