rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Pflegekindschaftsverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Erfordernis eines "familienähnlichen, auf Dauer berechneten Bandes" für ein Pflegekindschaftsverhältnis enthält keine altersmäßige Begrenzung. Bei Aufnahme eines Kindes im Alter von 16 1/2 Jahren kann allerdings regelmäßig nicht mehr von einem derartigen Band ausgegangen werden, es sei denn es besteht eine persönliche Ausnahmesituation, z.B. die Herkunft des Kindes aus einem fremden Kulturkreis.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 63 Abs. 1, 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1, 1 Nr. 2, § 62 Abs. 1

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin (Klin.) für ihren Neffen Kindergeld zusteht.

Im August 2000 beantragte die Klin. die Zahlung von Kindergeld für ihren am 1.8.1983 geborenen Neffen A.. Er stamme aus dem Irak. Sie habe ihn seit dem 9.3.2000 in ihren Haushalt aufgenommen und sei ausweislich der Bestallungsurkunde vom 23.6.2000 zu seinem Vormund bestellt worden. Er werde ganztägig und durchgehend an allen Wochentagen von ihr versorgt und solle für längere Zeit, und zwar voraussichtlich solange in ihrer Obhut verbleiben, bis er 18 Jahre alt werde.

Der Beklagte (Bekl.) lehnte den Antrag durch Verwaltungsakt vom 14.9.2000 ab. Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos. Zur Begründung der Einspruchsentscheidung (EE) vom 31.10.2000 machte der Bekl. geltend, mit einem familienfremden Kind, das kurz vor Eintritt der Volljährigkeit mit dem Ziel des dauernden Verbleibs in den Haushalt aufgenommen würde, könnte im Regelfall kein Pflegekindschaftsverhältnis begründet werden. Die familienähnliche Bindung sei von vornherein nicht auf längere Dauer angelegt.

Mit Schreiben vom 6.11.2000 erhob die Klin. gegen die EE Klage. Zur Begründung trägt sie vor, A. stehe zu ihr in einem Pflegekindschaftsverhältnis. Sie sei zu seinem Vormund bestellt worden. Das Kind sei in ihren Haushalt aufgenommen worden und werde von ihr vollständig versorgt. Das Sozialamt der Stadt B. zahle für den Minderjährigen im Hinblick auf ihre Einkommensverhältnisse keine Sozialhilfe.

Über den Asylantrag ihres Neffen sei noch nicht entschieden. Die Klin. sei für den Minderjährigen die einzige familiäre Bezugsperson in Deutschland. Die familiäre Bindung sei von vornherein auf längere Zeit angelegt.

Die Klin. beantragt,

den Bekl. unter Aufhebung des Bescheides vom 14.9.2000 und der EE vom 31.10.2000 zu verpflichten, ihr für A. ab April 2000 Kindergeld zu zahlen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er in Ergänzung zur EE vor, die Klin. habe im Rahmen der Antragstellung angegeben, die Haushaltsaufnahme des Neffen werde voraussichtlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres andauern. Damit betrage die beabsichtigte Dauer der Bindung weniger als 1 ½ Jahre. Auf diesem Hintergrund müßten besondere Gründe vorliegen, wenn dennoch ein Pflegekindschaftsverhältnis angenommen werden solle. Im Streitfall sei nicht ersichtlich, zu welchem Zweck (z.B. Schul- oder Berufsausbildung) der Neffe nach Deutschland gekommen sei. Da auch das Asylverfahren des Neffen noch anhängig und über den rechtmäßigen Aufenthalt des Kindes in Deutschland noch nicht abschließend entschieden worden sei, könne im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung nicht davon ausgegangen weden, daß die Klin. mit dem Kind eine dauerhafte familiäre Bindung eingegangen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben der Klin. vom 12.2.2001 und die Klageerwiderung des Bekl. vom 25.4.2001 sowie auf die Kindergeldakte Bezug genommen.

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 FGO.

Die Klage ist begründet.

Der Klin. ist für A. Kindergeld zu zahlen. Er steht zu ihr in einem Pflegekindschaftsverhältnis (§§ 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 63 Abs. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG).

Pflegekinder sind Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat, das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige sie mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG).

A. lebt im Haushalt der Klin. und wird von ihr betreut, so daß davon auszugehen ist, daß sie einen nicht unwesentlichen Unterhaltsbeitrag leistet (BFH, Urteil vom 12. Juni 1991, III R 108/89, BStBl II 1992, 20). Das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den im Irak lebenden Eltern des A. besteht nicht mehr. Er hat einen Asylantrag gestellt und will in Deutschland bleiben. Anhaltspunkte dafür, daß die Eltern ebenfalls in absehbarer Zeit nach Deutschland kommen wollen, sind nicht ersichtlich. Die Klin. übt auch die familienähnliche Personensorge aus. Sie ist zum Vormund des bei ihr lebenden Kindes bestellt worden.

Es ist im Streitfall auch davon auszugehen, daß die Klin. mit ihm durch ein familienähnliches, auf Dauer berechnetes Band verbunden ist. Aus der gesetzlichen...

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