Entscheidungsstichwort (Thema)
EuGH-Vorlage: Versagung des Vorsteuerabzugs beim Zweiterwerber bei Kennenmüssen von Mehrwertsteuerhinterziehung des ursprünglichen Käufers und des Ersterwerbers Berechnung des Steuerschadens beim Zweiterwerber
Leitsatz (redaktionell)
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann dem zweiten Erwerber eines Gegenstandes der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb versagt werden, weil er wissen musste, dass der ursprüngliche Verkäufer bei der ersten Veräußerung Mehrwertsteuer hinterzog, obwohl auch der erste Erwerber wusste, dass der ursprüngliche Verkäufer bei der ersten Veräußerung Mehrwertsteuer hinterzog?
2. Falls Frage 1 bejaht wird: ist die Versagung bei dem zweiten Erwerber betragsmäßig auf den durch die Hinterziehung entstandenen Steuerschaden begrenzt?
3. Falls Frage 2 bejaht wird: berechnet sich der Steuerschaden
- durch Vergleich der in der Leistungskette gesetzlich geschuldeten mit der tatsächlich festgesetzten Steuer,
- durch Vergleich der in der Leistungskette gesetzlich geschuldeten mit der tatsächlich bezahlten Steuer oder
- auf welche andere Weise?
II. Das Verfahren wird bis zur Übermittlung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.
Normenkette
UStG § 3 Abs. 3, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sätze 1-2; MwStSystRL Art. 14 Abs. 2 Buchst. c, Art. 167, 168a, 178a
Nachgehend
Gründe
I.
Der Kläger, ein Händler, erwarb von C, der sich als W ausgab, für sein Unternehmen 2011 einen Gebrauchtwagen, den C in einem früheren Jahr von einem Dritten erworben hatte. W wusste, dass C sich für ihn ausgab, und war damit einverstanden. C stellte W eine Rechnung über die Lieferung des Gebrauchtwagens für 52.100,84 € zuzüglich 9.899,16 € Mehrwertsteuer, W dem Kläger eine Rechnung über 64.705,88 € zuzüglich 12.294,12 € Mehrwertsteuer, die er C überließ, der sie dem Kläger aushändigte. Der Kläger übergab C insgesamt 77.000 €, die dieser für sich behielt. C berücksichtigte in seiner Buchhaltung und seinen Steuererklärungen nur einen Verkaufspreis von 52.100,84 € zuzüglich 9.899,16 € Mehrwertsteuer und zahlte auch nur Steuer in der sich daraus ergebenden Höhe. W erfasste den Vorgang weder in seiner Buchhaltung noch in seinen Steuererklärungen und zahlte insoweit auch keine Steuer.
Der Kläger macht für den Erwerb des Gebrauchtwagens 12.294,12 € Vorsteuer geltend. Demgegenüber meint der Beklagte, der Kläger dürfe keinerlei Vorsteuer abziehen, da ihm der Vorsteuerabzug zu versagen sei, weil er von der Steuerhinterziehung des C wissen hätte müssen.
Aufgrund der Akten und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung geht das vorlegende Gericht davon aus, dass der Kläger nach den Umständen des konkreten Falles wegen mehrerer Auffälligkeiten verpflichtet gewesen wäre, sich über die Identität seines Geschäftspartners zu vergewissern, und dann zum einen festgestellt hätte, dass C seine Identität gezielt verschleierte, was keinen anderen Zweck haben konnte, als durch den Verkauf des Gebrauchtwagens entstehende Mehrwertsteuer zu hinterziehen, zum anderen, dass W seinen steuerlichen Pflichten gleichgültig gegenüberstand und nicht willens war, ihnen in der gebotenen Weise nachzukommen.
II.
Der Senat legt dem EuGH die im Tenor genannte Frage gem.§ 267 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Buchst. a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vor.
1. Rechtlicher Rahmen
a. Unionsrecht
Nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) gilt als Lieferung von Gegenständen
"…die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission."
Art. 167 MwStSystRL bestimmt:
"Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht."
Art. 168 Buchst. a MwStSystRL lautet:
"Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden."
Gemäß Art. 178 Buchst. a MwStSystRL muss der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und das Erbringen von Dienstleistungen ausüben zu können, u. a. die folgende Bedingung erfüllen:
"… eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 ausgestellte Rechnung besitzen".
b. Nationales Recht
§ 3 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)lautet:
"Beim Kommissionsgeschäft (§ 383 des Handelsgesetzbuchs) liegt zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär eine Lieferung vor. Bei der Verkaufskommission gilt der Kommissionär, bei der Einkaufskommission der Kommittent als Abnehmer."
§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG in der in den Streitjahren ...