Differenzbesteuerung trotz fehlender Aufzeichnungen eines ebay-Verkäufers
Hintergrund: Zahlreiche Verkäufe über ebay
Die X erwarb Gegenstände aus Haushaltsauflösungen und bot sie auf der Auktions-Plattform "ebay" in Form von Versteigerungen zum Verkauf an. In 2009 bis 2013 erzielte sie aus ca. 3.000 Auktionen Einnahmen von ca. 370.000 EUR.
Das FA erließ entsprechende ESt- und GewSt-Messbescheide, in denen es die Betriebsausgaben und Vorsteuern in Höhe von 30 % der Einnahmen schätzte. In den USt-Bescheiden setzte es USt von 19 % auf die festgestellten (Brutto-)Einnahmen fest. Vorsteuerbeträge erkannte das FA nicht an.
Das FG gab der Klage teilweise statt, indem es die Betriebsausgaben in Höhe von 60 % des Nettoumsatzes berücksichtigte.
Das Revisionsverfahren wurde zunächst beim X. Senat geführt (Az. X R 26/18). Der X. Senat trennte das vorliegende Verfahren wegen USt ab und gab es zuständigkeitshalber an den V. Senat. In dem (beim X. Senat verbliebenen) Verfahren wegen ESt und GewSt hob der BFH das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück (BFH v. 17.6.2020, X R 26/18, BFH/NV 2021 S. 314).
Das vorliegende Verfahren des V. Senats betrifft daher lediglich die USt.
Entscheidung: Nachhaltige ebay-Tätigkeit; Differenzbesteuerung auch bei fehlenden Aufzeichnungen
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG hat fälschlich die vom FA vorgenommene Festsetzung der USt auf die Bruttoeinnahmen bestätigt. Außerdem ist die Sache im Hinblick auf die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG nicht spruchreif.
Herausrechnung der USt aus den Bruttoeinnahmen
Bemessungsgrundlage ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG das Entgelt. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, abzüglich der USt (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Deshalb hätte die festzusetzende USt vom FA aus den Bruttoeinnahmen herausgerechnet werden müssen. Das wird das FG bei seiner erneuten Entscheidung berücksichtigen müssen.
Nachhaltigkeit der ebay-Verkäufe
Bei den Verkäufen der X handelt es sich um eine nachhaltige Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 UStG). Neben dem Umfang der Verkäufe ist auch zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit eine Betriebsorganisation erforderte. X musste Verpackungsmaterial kaufen, Waren verpacken, Porto zahlen und digitale Bilder der angebotenen Gegenstände fertigen. Es handelt sich um eine intensive und langfristige Verkaufstätigkeit unter Nutzung bewährter Vertriebsmaßnahmen (BFH v. 26.4.2012, V R 2/11, BStBl II 2012 S. 634). Auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht kommt es für die USt nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG nicht an.
Differenzbesteuerung nach § 25a UStG
X ist Wiederverkäuferin i.S. des § 25a Abs. 1 Nr. 1 UStG. Da sie die weiterveräußerten Gegenstände bei Haushaltsauflösungen erworben hat, kann von einem Erwerb, für den keine USt geschuldet wurde (§ 25a Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a UStG), ausgegangen werden.
Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht führt zur Schätzung im Rahmen der Differenzbesteuerung
Die Einhaltung der Aufzeichnungspflichten nach § 25a Abs. 6 Satz 1 UStG gehört nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Differenzbesteuerung. Ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten führt daher grundsätzlich nicht zur Versagung der Differenzbesteuerung, sondern zur Schätzung (ggf. zu Lasten des Wiederverkäufers).
Schätzungsbefugnis aufgrund Unionsrechts
Unionsrechtlich ergibt sich die Schätzung zum einen daraus, dass eine Pflicht zu (getrennten) Aufzeichnungen nach Art. 324 MwStSystRL nur dann besteht, wenn die Differenzbesteuerung neben der Regelbesteuerung angewendet wird. Zum anderen hat der EuGH zwar entschieden, dass sich die Bemessungsgrundlage für die Differenzbesteuerung aus Aufzeichnungen ergeben muss, die die Prüfung sämtlicher Voraussetzungen der Differenzbesteuerung ermöglichen (EuGH-Urteil Sjelle Autogenbrug v. 18.1.2017, C-471/15, EU:C:2017:20, Rz. 43). Sind aber die Voraussetzungen der Differenzbesteuerung unstreitig gegeben, anerkennt der BFH einen Ausnahmefall, der es rechtfertigt, die Differenzbesteuerung nicht wegen des Fehlens von Aufzeichnungen zu versagen. Es ist dann vielmehr zu prüfen, ob die Einkaufspreise (ggf. mit einem Sicherheitsabschlag zu Lasten des Wiederverkäufers) nach § 162 AO geschätzt werden können.
Zurückverweisung an das FG
Der Fall wurde an das FG zurückverwiesen, zum einen, um die Bruttoeinnahmen in Entgelt und USt aufzuteilen, und zum anderen, um die Feststellungen zur Differenzbesteuerung nachzuholen.
Feststellungen zum Vorsteuerabzug und zum Steuersatz
Soweit die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG nicht in Betracht kommen sollte, wird das FG noch Feststellungen zum Vorsteuerabzug und zum Steuersatz nachholen müssen. Da X die verkauften Gegenstände aus Haushaltsauflösungen erworben hat, dürfte es sich um Erwerbe von Nichtunternehmern handeln, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen. Das FG wird ferner zu prüfen haben, ob auf einzelne Umsätze der ermäßigte Steuersatz (§ 12 Abs. 2 UStG) anwendbar ist.
Hinweis: Schätzung bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten
Der BFH führt die bisherigen Grundsätze zur Nachhaltigkeit von Verkäufen über ebay fort (BFH v. 26.4.2012, V R 2/11, BStBl II 2012 S. 634). Neu an der aktuellen Entscheidung ist, dass die Aufzeichnungspflichten nach § 25a Abs. 6 Satz 1 UStG nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Differenzbesteuerung gehören. Das hat zur Folge, dass die Verletzung der Aufzeichnungspflichten nicht grundsätzlich zur Versagung der Differenzbesteuerung führt und damit eine Schätzung eröffnet ist. Der BFH berücksichtigt dabei auch, dass im Rahmen der Differenzbesteuerung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (EuGH-Urteil Litdana vom 18.5.2017, C-624/15, EU:C:2017:389, Rz. 44) und danach eine Schätzung (als milderes Mittel) angebracht sein kann.
BFH Urteil vom 12.05.2022 - V R 19/20 (veröffentlicht am 10.11.2022)
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