Rz. 95
§ 13 Abs. 1 Nr. 19 ErbStG wurde durch das Gesetz vom 16.7.2021 mit Wirkung vom 23.7.2021 eingeführt. Die Vorschrift stellt Entschädigungsleistungen an Missbrauchsopfer von Religionsgemeinschaften etc. steuerfrei. Die Neuregelung ist hinsichtlich der leistenden Einrichtungen i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 19 S. 1 ErbStG ausdrücklich weit gefasst. Es sollen sämtliche Leistungen erfassen, die in Ansehung von erlittenem Unrecht erbracht werden. Als leistende Institutionen kommen juristische Personen des öffentlichen Rechts, Religionsgemeinschaften, Körperschaften, Personenvereinigungen (z. B. Vereine) oder auch Vermögensmassen (z. B. Stiftungen) sowie Internate und sonstige Einrichtungen in Betracht.
Rz. 96
Die Leistungen müssen in Ansehung der Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit der betroffenen Personen erbracht werden. Nicht erforderlich ist, dass sie auf einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch beruhen oder auf diesen hin geleistet werden. Erfasst werden nach der Gesetzesbegründung auch freiwillige Leistungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 19 ErbStG ist der Höhe nach unbegrenzt. Es muss eine personelle Verbindung zwischen dem erlittenen Leid und der leistenden Institution bestehen. § 13 Abs. 1 Nr. 19 ErbStG gilt in sachlicher Hinsicht nur für Leistungen in Ansehung erlittenen Unrechts durch Handlungen von Personen, die in einem Dienst- oder Auftragsverhältnis zu der leistenden Institution oder einer ihr über-, neben- oder nachgeordneten Einrichtung stehen oder standen. Erfasst werden dabei auch Fälle, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, sondern z. B. im privaten Umfeld begangen wurden, wenn die handelnde Person in einem Dienst- oder Auftragsverhältnis zu der leistenden Institution oder einer ihr über-, neben- oder nachgeordneten Einrichtung steht oder stand. Für die Steuerbefreiung ist ausreichend, dass die Leistung in Ansehung des erlittenen Leids erfolgte. Weder die zivil- oder strafrechtliche Verantwortlichkeit der Einrichtung noch die erlittene Beeinträchtigung sind vom FA im Einzelfall zu prüfen.
Rz. 97
Die Bewilligung der Leistungen durch die Einrichtung muss nach § 13 Abs. 1 Nr. 19 S. 1 ErbStG auf Grundlage eines geordneten Verfahrens erfolgen. Dies erfordert regelmäßig eine selbstständige, von der Institution aufgestellte Verfahrensordnung oder eines ähnlichen Regelwerks, das sämtliche Voraussetzungen für die Bewilligung einheitlich für alle betroffenen Personen normiert. In der Verfahrensordnung sollen Voraussetzungen an die persönliche (subjektive) sowie die objektive Leistungsberechtigung enthalten sein. Für die objektive Leistungsberechtigung ist ausreichend, eine Plausibilitätsprüfung hinsichtlich der Angaben des Betroffenen durch den Leistenden vorzusehen. Die Prüfung der Leistungsvoraussetzungen kann in der Verfahrensordnung der leistenden Institution selbst, einem von diesem unabhängigen Gremium oder einem innerhalb der Institution bestehenden gesonderten Gremium übertragen werden. Dieses Verfahren muss allen potenziell betroffenen Personen offenstehen. Es dürfen keine sachfremden Differenzierungen hinsichtlich der betroffenen Personen erfolgen.
Rz. 98
einstweilen frei
Rz. 99
Nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG gilt für sämtliche Zuwendungen eine Anzeigepflicht des Erwerbers bzw. des Leistenden an das zuständige FA. Die Anzeigepflicht hinsichtlich der Leistungen besteht gem. § 13 Abs. 1 Nr. 19 S. 2 und 3 ErbStG hingegen nur für die leistende Institution. Der Anzeigende hat dabei das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Einzelfall zu bestätigen. Die Anzeigepflicht des Leistungsempfängers nach § 30 Abs. 1 ErbStG wird suspendiert. Damit soll verhindert werden, dass die Betroffenen im Zusammenhang mit dem Erhalt der Leistung durch Verwaltungsaufwand und die Darlegung ihres Leids gegenüber dem FA belastet werden.