Rz. 84
Gegenstand des Gewahrsams muss das Vermögen des Erblassers sein. Das Gesetz beschränkt die Haftung ausdrücklich nicht auf das Nachlassvermögen. Gegenstand kann also auch sein, was aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall erworben wird. Keine Rolle spielt dabei, dass Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall zivilrechtlich nicht dem Erbrecht, sondern dem Schuldrecht zugeordnet werden. Entscheidend ist vielmehr die erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung. Zum Haftungsvermögen gehört neben dem Erblasservermögen, das sich in den Schließfächern von Banken befindet, auch das Guthaben bei einem Kreditinstitut. Das Kreditinstitut verwahrt in einem solchen Fall den Gegenwert des Guthabens. Bei einem Gemeinschaftskonto von Ehegatten ist die Haftung auf den Anteil des Erblassers am Guthaben beschränkt, sodass der andere Ehegatte grundsätzlich frei über seinen Anteil verfügen könnte. Gleichwohl wird die Bank nicht wissen, wie hoch der Anteil des Erblassers am Guthaben ist. Daher kann die Bank ihre Haftung gem. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG nur ausschließen, indem sie die Auszahlung von der Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung abhängig macht. Das Haftungsvermögen nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG erstreckt sich auch auf postmortale Gutschriften aufgrund Einzahlungen Dritter auf ein Konto des Erblassers, jedenfalls dann, wenn die Veranlassung, Gelder nach seinem Tod auf ein bestimmtes Konto einzuzahlen, noch auf den Erblasser zurückgeht und die Gutschriften daher bei einer am Normzweck ausgerichteten Auslegung noch zum Erblasservermögen gehören, also noch nicht in die alleinige Verfügungsmacht des Erben gelangt sind.
Rz. 85
Der Erlös aus der Veräußerung des Erbteils gehört nicht zum Vermögen des Erblassers.
Rz. 86
Die haftungsbegründende Stellung des Gewahrsamsinhabers endet, wenn das Erblasservermögen in die (alleinige) Verfügungsmacht des Erben gelangt. Dies gilt auch, wenn inländischen Miterben einer aus erbschaftsteuerrechtlichen Inländern und erbschaftsteuerrechtlichen Ausländern bestehenden Miterbengemeinschaft die ihren Erbquoten entsprechenden Anteile des im Gewahrsam, etwa einer Bank, befindlichen Nachlassvermögens zur Verfügung gestellt werden. Fallen dagegen bei der Auseinandersetzung einer solchen Erbengemeinschaft Vermögensgegenstände abweichend von den Erbquoten nur den inländischen Miterben zu, so haftet die Bank in Höhe des Betrags, der den Erbquoten der ausländischen Miterben entspricht.
Rz. 87
Ein Dritter (z. B. Bevollmächtigter), dem seitens des Erben Gewahrsam am Vermögen des Erblassers eingeräumt wird, unterliegt nicht der Haftung aus § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG. Bei Bankkonten entfällt nach den vorstehenden Grundsätzen mithin die entsprechende Haftung der Bank, wenn das Vermögen des Erblassers auf ein vom Erblasser (oder seinem Bevollmächtigten) eingerichtetes inländisches Konto übertragen wird; in diesem Fall hat die Bank lediglich das Vermögen des Erben in Gewahrsam. Dieses Ergebnis gilt auch bei einer direkten Auszahlung der Bank an einen im Ausland wohnhaften Vermächtnisnehmer auf Anweisung des inländischen Erben. Der Vermächtnisnehmer hat nur einen Anspruch gegen den Erben, nicht gegen die Bank. Die Bank stellt mit der Auszahlung an den Vermächtnisnehmer also nicht diesem, sondern dem Erben das Guthaben zur Verfügung. Einer Unbedenklichkeitsbescheinigung bedarf es also in diesem Fall nicht.
Allgemein gilt, dass eine Bank kein Erblasservermögen in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG verbringt, also nicht haftet, wenn sie auf Anweisung des inländischen Alleinerben Guthaben des Erblassers ins Ausland überweist. Das ist zwar unbefriedigend, weil sich die Haftung des Gewahrsamsinhabers – für den Gesetzgeber erkennbar – damit dann als lückenhaft erweist, wenn der im Inland wohnhafte Erbe über das Vermögen des Erblassers durch Sich-Auszahlen-Lassen, durch Überweisung oder durch sonstige rechtsgeschäftliche Handlungen verfügt. Doch liegt keine planwidrige Regelungslücke vor, die im Wege der Analogie unter Heranziehung des Gesetzeszwecks geschlossen werden könnte.