Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 80
Bei Schenkungen unter Lebenden entsteht die Steuer gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG im Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung. Die Zuwendung ist das Ergebnis einer Vermögensverschiebung im Rechtssinne. Daran zeigt sich das enge systematische Zusammenspiel der Steuerbarkeit nach § 7 ErbStG und der Steuerentstehung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. Besteuerungsgegenstand der Schenkung unter Lebenden ist der durch einen steuerbaren Vorgang im Steuerentstehungszeitpunkt eingetretene Vermögenszuwachs.
Rz. 81
Für die Steuerbarkeit entscheidend ist der Wechsel der Rechtszuständigkeit in Folge einer rechtsgeschäftlichen Verfügung und nicht das schuldrechtliche Kausal- oder Verpflichtungsgeschäft, welches den Gegenstand und den Umfang der Zuwendung sowie die zur Ausführung auf steuerliche Vollzugshandlungen festschreibt. Die Unwirksamkeit des Verfügungsgeschäfts ist für die Ausführung ausnahmsweise unbeachtlich, wenn die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des gewollten Rechtsgeschäfts eintreten lassen. Wenn nur das (unentgeltliche) Kausalgeschäft nichtig ist, liegt eine rechtsgrundlose Zuwendung vor, bei der sich die Steuerbarkeit gleichermaßen nach § 41 Abs. 1 S. 2 AO richtet. In dem Sonderfall des § 7 Abs. 7 ErbStG tritt der Vermögensübergang durch Anwachsung kraft Gesetzes und damit nicht auf rechtsgeschäftlicher Grundlage ein. Ausnahmsweise liegt der Ausführungszeitpunkt bei der Übereignung von Grundstücken vor dem Übergang des Eigentums.
Rz. 82
Erfolgt die Schenkungsabrede oder die Zuwendung unter einer aufschiebenden Bedingung/Befristung, entsteht die Steuer erst, wenn die Bedingung eingetreten bzw. die Frist erreicht worden ist. In der Konstellation einer rückwirkenden Genehmigung hat der BFH entschieden, dass die zivilrechtliche Rückwirkung schenkungsteuerrechtlich nicht nachvollzogen wird. Auch das FG Münster hat für den Fall einer sog. "Deed Of Variation" das Stichtagsprinzip betont und die nach englischem Recht geltende Rückwirkung auf den Todestag versagt. Im Rahmen einer "Deed Of Variation" können die Erben innerhalb von 2 Jahren nach dem Todesfall eine von der Erbfolge abweichende schriftliche Vereinbarung über die Verteilung des Nachlasses treffen. Während der Erwerb eines hierdurch neu einbezogenen Begünstigten nach englischem Recht als rückwirkender Erwerb vom Erblasser behandelt wird, sieht das FG Münster hierin eine Abtretung nach § 2033 Abs. 1 S. 1 BGB. Damit liege eine freigebige Zuwendung der ursprünglichen Erben an den neuen Begünstigten vor. In der Konsequenz ist eine dem englischen Recht entsprechende Rückwirkung der nachträglichen Zuwendung nicht möglich. Überzeugend erscheint dies nicht, wenn man mit Blick auf die steuerrechtliche Anerkennung der Rückwirkung einer Ausschlagung auch ausländische Rückwirkungsfiktionen wie z. B. die Erbannahme nach italienischem Recht anerkennt. Wird eine betagte Forderung zugewendet, vertritt die h. M. – nach hier vertretener Ansicht inkonsequent – keine parallele Behandlung wie bei § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG, sondern geht davon aus, dass die Steuer generell bereits mit Einräumung des Anspruchs entsteht und lediglich abzuzinsen ist. Dies ist aber nicht überzeugend, wenn die Fälligkeit bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt hinausgeschoben wird. Der BFH rechtfertigt die teleologische Reduktion des für den Erwerb von Todes wegen maßgeblichen § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG mit dem Vorrang des Bewertungsrechts. Aus der bewertungsrechtlichen Behandlung noch nicht fälliger Forderungen in § 12 Abs. 3 BewG lasse sich ableiten, dass die ErbSt für solche Ansprüche, die zu einem bestimmten, feststehenden Zeitpunkt fällig werden, dem Regelfall des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsprechend bereits im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entstünden und mit ihrem ggf. abgezinsten Wert anzusetzen seien. Wenn der Zeitpunkt unbestimmt ist, scheitert eine stimmige Bewertung. Dieser bewertungsrechtliche Aspekt lässt sich auf Schenkungen unter Lebenden in gleicher Weise übertragen. Im Übrigen entschied der BFH, dass die Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG auch bei Schenkungen anwendbar sei. Das FG Münster ist dieser Auffassung für die lebzeitige Zuwendung einer Rentenversicherung mit Todesfallleistung gefolgt. Zwar entstehe die Steuer bei Schenkungen grundsätzlich nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. Die Fälligkeit der Todesfallleistung war jedoch an den Tod des Schenkers geknüpft, womit von einem betagten Anspruch mit unbestimmter Fälligkeit auszugehen sei. Richtigerweise sah das Gericht deshalb den Zeitpunkt der Steuerentstehung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG als auf den Todeszeitpunkt hinausgeschoben an.
Rz. 83
Der Begriff der Ausführung ist gesetzlich nicht definiert. Die Problemstellung weist eine Ähnlichkeit zu der Frage auf, wann eine versprochene Leistung i. S. d. § 518 Abs. 2 BGB bewirkt worden ist, weswegen der BFH vereinzelt ein paralleles Begriffsverständnis befürwortet. Trotz der funktionalen Nähe beide...