Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 9
Überblick. Besonderes Gewicht für das Verständnis und die Auslegung des § 50d Abs. 3 EStG kommt der Systematik und Teleologie zu, in welche die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG eingebettet ist. Dies betrifft zunächst die Stellung innerhalb der Gesetzesordnung des EStG (vgl. Rz. 10) sowie die systematische Einordnung in das weitere Normumfeld (vgl. Rz. 11). Besonders hervorzuheben ist schließlich das normspezifische Missbrauchsleitbild des Treaty- und Directive-Shopping (vgl. Rz. 12, 14 ff.) sowie der durch Auslegung zu ermittelnde Schutzbereich des § 50d Abs. 3 EStG (vgl. Rz. 13). Daraus wird verständlich, was die einzelnen Missbrauchsindizien des § 50d Abs. 3 EStG eigentlich bezwecken (vgl. Rz. 14 ff.). Abschließend ist noch nach dem Gegenstand und Zeitpunkt des von § 50d Abs. 3 EStG verfolgten Missbrauchs zu fragen, insbesondere, ob es den Versuch eines Missbrauchs gibt und dieser von § 50d Abs. 3 EStG erfasst wird (vgl. Rz. 18).
Rz. 10
Stellung innerhalb des EStG. § 50d Abs. 3 EStG ist Teil des Abschitts "IX. Sonstige Vorschriften [...]", seine Bedeutung ergibt sich aber erst aus seiner (im Zuge des AbzStEntModG neu gefassten) amtlichen Überschrift "Anwendung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung". Damit sollte infolge der Verschiebung der Verfahrensvorschriften in einen neuen § 50c EStG zum Ausdruck gebracht werden, dass § 50d EStG nur noch materiell-rechtliche Vorschriften zur Anwendung von DBA beinhaltet (zur Folge auf die Auslegung des § 50d Abs. 11a EStG s. Rz. 127). Eine solche Vorschrift stellt auch § 50d Abs. 3 EStG dar (vgl. Rz. 478). Die Gesetzesordnung spiegelt zudem die unmittelbare Nähe zu § 50c EStG wider, in dessen Verfahren § 50d Abs. 3 EStG rechtspraktisch eine wesentliche Bedeutung hat: Die von § 50d Abs. 3 EStG erfassten Entlastungsansprüche (vgl. Rz. 137) werden im Verfahren nach § 50c EStG durchgesetzt, sodass auch § 50d Abs. 3 EStG in diesem Verfahren zu prüfen ist. Zur Bedeutung im Veranlagungsverfahren Rz. 143. Die Stellung innerhalb des EStG darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass § 50d Abs. 3 EStG nur die Entlastung von Körperschaftsteuer erfasst, da er nur auf Körperschaftsteuersubjekte anwendbar ist (vgl. Rz. 103 ff.). Die Stellung im EStG hat man wohl deshalb beibehalten, weil § 50d Abs. 3 EStG nur die Entlastung von im Abzugswege erhobenen Körperschaftsteuern betrifft (vgl. Rz. 13, 141) und das KStG insoweit auf die Vorschriften des EStG verweist (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG). S. zum Verhältnis zu weiteren Vorschriften ausf. Rz. 21 ff.
Rz. 11
Systematische Einordung. § 50d Abs. 3 EStG ist eine spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsvorschrift (zum Verhältnis zu § 42 AO s. Rz. 594 ff.). Sie richtet sich gegen rein steuerlich motivierte Gestaltungen zum Zwecke des sog. "Treaty-Shopping" oder "Directive-Shopping" (zu Begrifflichkeiten s. Rz. 14) durch substanz- bzw. funktionslose Körperschaften, Personenvereinigung oder Vermögensmassen (im Folgenden "Körperschaften") oder durch Körperschaften als sog. Durchleitungseinheiten ("conduit companies", (vgl. Rz. 272 ff. und ausf. Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 33 ff.). Der vor Missbrauch geschützte Schutzbereich des § 50d Abs. 3 EStG betrifft das deutsche Körperschaftsteueraufkommen durch Erhebung von Kapitalertragsteuer (vgl. §§ 43 ff. EStG) und Abzugsteuer nach § 50a EStG (str., vgl. Rz. 13). § 50d Abs. 3 EStG ist als materiell-rechtliche Ausnahmebestimmung zu DBA, zu § 43b, § 44a Abs. 9 sowie § 50g EStG konzipiert und versagt grundsätzlich die aus diesen Rechtsgrundlagen resultierenden Ansprüche auf Entlastung von den oben genannten deutschen Abzugsteuern; sie kommen materiell-rechtlich erst gar nicht zum Entstehen (vgl. Rz. 478, s. auch Rz. 138). § 50d Abs. 3 EStG steht nicht als nationale Norm für sich allein, sondern ist in vielfältiger (komplexer) Weise vernetzt und beeinflusst, was bei der Auslegung maßgeblich zu berücksichtigenist: § 50d Abs. 3 EStG stellt eine Umsetzung der Ergebnisse des Aktionspunkts 6 des BEPS-Aktionsberichts dar (vgl. Rz. 63 f.), die ihrerseits in Art. 29 OECD-MK 2017 (vgl. Rz. 63 f.) und Art. 7 MLI (vgl. Rz. 65) eingeflossen sind. Er steht in Konflikt mit DBA, da er rechtsfolgenseitig deren Anwendung ausschließt (Treaty Override, vgl. Rz. 66 ff.). Daneben versagt er Ansprüche nach § 43b EStG und § 50g EStG, die auf EU-RL ( Art. 5 MTR, Art. 1 ZLR) beruhen, stellt aber zugleich wiederum potenziell eine Umsetzung der in diesen Richtlinien vorgesehenen Missbrauchsvermeidungsklauseln ( Art. 1 Abs. 2 ff. MTR, Art. 5 ZLR) bzw. der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsklauseln des Art. 6 ATAD dar (vgl. Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 1, 45 ff.). Daneben diskriminiert § 50d Abs. 3 EStG (faktisch) grenzüberschreitende Fälle und gerät damit in Konflikt mit europäischem Primärrecht in Form der Grundfreiheiten (vgl. Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 85 ff., insb. Rz. 89 f.). Darüber hinaus ergeben sich potenzielle Wechselwirkungen mit dem EU-primärrechtlichen allgemeinen Rechtsgr...