Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 257
Überblick. Nach dem Wortlaut des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 Var. 1 EStG soll das bloße "Erzielen der Einkünfte" nicht als Wirtschaftstätigkeit gelten. Für das Verständnis dieses Merkmals ist zu beachten, dass das bloße Erzielen der Einkünfte nach der Gesetzessystematik nicht per se "schädlich" für die Annahme einer Wirtschaftstätigkeit ist, sondern nur das ausschließliche Erzielen der Einkünfte ohne jede weitere wesentliche Tätigkeit nicht für eine Wirtschaftstätigkeit ausreicht (s. näher zur Systematik Rz. 255). Wird eine Tätigkeit ausgeübt, die über das Erzielen der Einkünfte hinausgeht, kann diese (unter Beachtung der Var. 2 und Var. 3) als Wirtschaftstätigkeit qualifizieren. Die Var. 1 ist missverständlich formuliert und auf den ersten Blick schwer eingängig. Bei näherer Analyse der Normzusammenhänge, der Gesetzesbegründung und der EuGH-Rechtsprechung kommt der Var. 1 aber die eigenständige (vgl. Rz. 258) Bedeutung eines Aktivitätstests zu (vgl. Rz. 260 ff.): Eine Wirtschaftstätigkeit besteht nur, wenn sich die Körperschaft nicht nur auf die – rein passive – Empfangnahme und die hiermit notwendig und unmittelbar verbundenen (passiven) Hilfstätigkeiten beschränkt, sondern eine davon losgelöste "wesentliche" (aktive) Tätigkeit entfaltet (vgl. dazu Rz. 265 f.). Damit sind reinpassive vermögensverwaltende Holdinggesellschaften mangels Ausübung einer Wirtschaftstätigkeit nicht sachlich entlastungsberechtigt und müssen (soweit auch die persönliche Entlastungsberechtigung nach Satz 1 Nr. 1 fehlt) einen Gegenbeweis (PPT) führen. Die Var. 1 ist daher im Wesentlichen der gesetzliche Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung einer (ausreichenden) sog. aktiven Vermögensverwaltung und einer (nicht ausreichenden) sog. rein passiven Vermögensverwaltung (vgl. Rz. 265 ff.).
Rz. 258
Eigenständiges Merkmal. Nach dem Gesetzeswortlaut steht das Erzielen der Einkünfte als selbständiges Merkmal neben der Weiterleitung der Einkünfte (Var. 2) und dem Substanztest (Var. 3). Daher liegt auch dann keine Wirtschaftstätigkeit vor, wenn (eher theoretisch) das bloße Erzielen der Einkünfte mittels eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs ausgeübt wird. Teilweise wird offenbar davon ausgegangen, dass das Erzielen und das Weiterleiten der Einkünfte nur gemeinsam ein Merkmal bilden. Das mag auch vor dem Hintergrund der EuGH Rechtsprechung auf den ersten Blick (s. zum "zweiten Blick"Rz. 259) naheliegend sein, spiegelt sich so aber nicht im Wortlaut des Gesetzes wider. Das Gesetz ist gerade nicht so formuliert, dass "das Erzielen der Einkünfte und deren Weiterleitung, sowie eine Tätigkeit ..." keine Wirtschaftstätigkeit darstellt. Vielmehr bringt das Gesetz durch die Aufzählung mit "sowie"-Verknüpfung zum Ausdruck, dass jeder (durch ein Komma abgegrenzte) Bestandteil der Aufzählung für sich genommen eine Tätigkeit beschreibt, die nicht als Wirtschaftstätigkeit gilt. Auch der Gesetzesbegründung liegt offenbar das Verständnis einer selbständigen Bedeutung der Var. 1 zugrunde, wenn dort ausgeführt wird, die Var. 1 stelle "ebenso" wie die Var. 2 klar, wann keine Wirtschaftstätigkeit vorliegt. Wie noch zu zeigen sein wird (vgl. Rz. 260 ff.), kommt der Var. 1 in Form eines Aktivitätstests auch eine eigenständige Bedeutung zu.
Rz. 259
Var. 1 ist kein Merkmal zur Feststellung einer "Durchleitungsstruktur" oder fehlenden "Nutzungsberechtigung" i.S.d. Danish Cases . Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 Var. 1 und Var. 2 EStG im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH klarstellen, dass der bloße Bezug der Einkünfte ebenso wie deren Weiterleitung keine Wirtschaftstätigkeit darstellen. Hierzu verweist die Gesetzesbegründung explizit auf Rz. 104 der Rs. T Danmark, in der der EuGH die Voraussetzungen für die Einordung einer Gesellschaft als sog. "Durchleitungsgesellschaft" aufführt. Dieses Kriterium der Durchleitungsgesellschaft zieht der EuGH im weiteren Kontext des Urteils zur Feststellung einer fehlenden Nutzungsberechtigung an den erzielten Einkünften und als Indiz für einen steuerlichen Gestaltungsmissbrauch heran (vgl. ausf. Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 33 ff.; s. auch Rz. 284 zur Var. 2). Die Gesetzesbegründung verkennt aber die Bedeutung der von ihr in Bezug genommenen Fundstelle desEuGH-Urteils, wenn sie daraus folgert, der Typus der (als missbräuchlich anzusehenden) "Durchleitungsgesellschaft" zeichne sich – alternativ – durch das Erzielen der Einkünfte oder deren Weiterleitung aus. Der EuGH verlangt nämlich in der von der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen Rz. 104 für die Annahme einer Durchleitungsgesellschaft, dass die "einzige [!] Tätigkeit der Gesellschaft in der Entgegennahme der Dividenden und [!] deren Weiterleitung an den Nutzungsberechtigten" besteht. Da es dem EuGH insoweit um die Feststellung einer "Durchleitungsstruktur" geht, kommt es für ihn auch maßgeblich nur auf die Weiterleitung der Einkünfte an. Der Erzielung der ...