Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 272
Überblick. Die bloße Weiterleitung (s. Rz. 282 ff.) der Einkünfte (s. Rz. 280) an beteiligte oder begünstigte Personen (s. Rz. 281) gilt nach § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 Var. 2 EStG nicht als Wirtschaftstätigkeit. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll durch die Var. 2 das Kriterium der "Durchleitungsgesellschaft" abgebildet werden, das in der Rechtsprechung des EuGH in den Danish Cases entwickelt wurde. Im Lichte dieser Rechtsprechung ist daher die Var. 2 auch auszulegen (vgl. Rz. 284 ff.). S. zu Konzernfinanzierungsgesellschaften auch Rz. 472 ff.
Rz. 273
Vorab: Innerstaatliche Einkünftezurechnung. Leitet die Körperschaft die von ihr empfangenen Einnahmen an beteiligte oder begünstigte Personen weiter, so ist zunächst die Frage einer Einkünfteerzielung nach nationalem Recht (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 aE EStG) im Detail zu prüfen (z.B. Treuhand, Nießbrauch). Sind der Körperschaft nämlich die Einkünfte nach deutschem Steuerrecht bereits nicht subjektiv zuzurechnen, erübrigt sich auch eine Prüfung des § 50d Abs. 3 EStG mangels einer (sachlichen) Steuerpflicht. Dann kommt es auf die Person an, die stattdessen nach deutschem Steuerrecht die Einkünfte erzielt und der dann auch aus deutscher Sicht der Entlastungsanspruch zusteht. Es kann aber sein, dass nach deutschem Steuerrecht der Körperschaft die Einkünfte subjektiv zugerechnet werden, sie aber nach der Rechtsprechung des EuGH gleichwohl nicht die Nutzungsberechtigte dieser Einkünfte ist. Der EuGH versteht den Begriff des Nutzungsberechtigten in den Danish Cases (vgl. Rz. 284) nämlich enger als es der Begriff der Einkünfteerzielung ist. Diesen Fall erfasst nach hier vertretener Ansicht die Var. 2.
Rz. 274
Vorab: Prüfung des Entlastungsanspruchs. Wie noch zu zeigen sein wird, ist unter einer Weiterleitung i.S.d. Var. 2 nur eine solche zu verstehen, die die Nutzungsberechtigung an den Einkünften ausschließt (vgl. Rz. 285). Sie wendet sich damit gegen den Einsatz sog. Durchleitungsgesellschaften ("conduit companies"). Der Begriff des Nutzungsberechtigten ist aber – wenn auch mit einem teilweise abweichenden Begriffsinhalt – bereits auf Tatbestandsebene verschiedener Entlastungsansprüche zu prüfen, z.B. bei § 50g EStG (bzw. Art. 1 ZLR) oder den DBA-Bestimmungen, die Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 bzw. Art. 12 Abs. 1 OECD-MA 2017 entsprechen. Fehlt hiernach bereits die Nutzungsberechtigung, kommt es auf § 50d Abs. 3 EStG nicht mehr an. Daher hat die Var. 2 insbesondere Bedeutung für Ansprüche nach § 43b EStG (s. aber Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 52), § 44a Abs. 9 EStG und auf Grundlage solcher DBA, die den Begriff des Nutzungsberechtigten noch nicht enthalten. In Teilbereichen kann aber der Begriff des Nutzungsberechtigten i.S.d. Rechtsprechung des EuGH enger sein als derjenige des OECD-MK, sodass § 50d Abs. 3 EStG auch in diesen Fällen einen grundsätzlich bestehenden Anspruch versagen könnte (s. zum Begriff des Nutzungsberechtigten ausf. Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 33 ff.).
Rz. 275
Bedeutung. Die Var. 2 ist neben der Var. 1 im Ausgangspunkt ein eigenständiges Merkmal (vgl. Rz. 258) und beinhaltet das in den Danish Cases entwickelte Missbrauchsindiz einer Durchleitungsstruktur (ausf. dazu auch Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 33 ff.). Die Merkmale der Var. 1 und Var. 2 weisen aber gleichwohl inhaltliche Wechselwirkungen auf und werden praktisch in aller Regel nebeneinander vorliegen, da die Weiterleitung der Einkünfte deren vorgelagertes Erzielen natur- und begriffsgemäß voraussetzt. Insoweit ist auch die Gesetzesbegründung verständlich, wenn sie – wie auch der EuGH – von "Empfangnahme der Dividenden und ggf. ihre[r] Weiterleitung" spricht. Beschränkt sich die Körperschaft aber nur auf eine passive Erzielung von Einkünften, stellt diese Tätigkeit schon nach der Var. 1 keine Wirtschaftstätigkeit dar; leitet sie dann auch noch alle Einkünfte an ihre Anteilseigner, kommt der Var. 2 zwar keine eigenständige Bedeutung für die Begründung des Missbrauchsvorwurfs mehr zu, die Var. 2 verstärkt aber den Missbrauchsvorwurf und erschwert damit die Anforderungen an einen Gegenbeweis (vgl. Beispiel 1 in Rz. 276). Übt die Körperschaft hingegen eine Wirtschaftstätigkeit aus und werden davon unabhängig die erzielten Einkünfte einer Einkunftstquelle i.S.d. Var. 2 weitergeleitet, so kann das zum Wegfall des wesentlichen Zusammenhangs i.S.d. Halbs. 1 führen (vgl. Rz. 279 und Beispiel 2 in Rz. 277). Eigenständige Bedeutung für den Ausschluss der sachlichen Entlastungsberechtigung erlangt die Var. 2 aber bei Tätigkeiten, die ihrer Art nach auf die Weiterleitung von Einkünften gerichtet sind, z.B. bei Finanzierungs- oder Lizenzverwertungsgesellschaften (vgl. Beispiel 3 in Rz. 278; s.a. Rz. 472 ff.). Auch im Verhältnis zur Var. 3 (Substanztest) ist die Var. 2 eigenständig. Es liegt daher auch dann keine Wirtschaftstätigkeit vor, wenn die Weiterleitung der Einkünfte mittels eines angemessen ausgestatteten Geschäftsbetriebs au...