Rz. 8
Verhinderung des sog. Cum/Cum-Treaty-Shopping. Die Regelung des § 50j EStG dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Bekämpfung des "sogenannten Cum/Cum treaty shopping" durch inländische oder ausländische Steuerpflichtige. Dabei handele es sich um eine Gestaltung, mittels derer sich der Steuerpflichtige einen "niedrigeren DBA-Quellensteuersatz" verschaffe. Die ins Visier genommene Gestaltung bezieht sich auf die Kapitalertragsteuer, die gem. §§ 43 ff. EStG u. a. Dividenden inländischer Gesellschaften mit einem Steuersatz von 25 % belegt. Verschiedene Steuerpflichtige haben jedoch Anspruch auf eine teilweise oder vollständige Entlastung von der Kapitalertragsteuer, u. a. auf der Grundlage von DBA. Für stärker belastete Steuerpflichtige liegt es deshalb nahe, ihre Aktien für den Zeitpunkt der Dividendenausschüttung, zu dem die Kapitalertragsteuer erhoben wird, vorübergehend auf einen Steuerpflichtigen zu übertragen, der über einen attraktiven DBA-Entlastungsanspruch verfügt. Hierfür wird eine Vereinbarung zwischen den beiden Steuerpflichtigen getroffen, die den entstehenden steuerlichen Vorteil verteilt sowie die Konsequenzen von Wertveränderungen der Aktien während der Übertragungsdauer regelt. Derartige Gestaltungen sucht die Regelung des § 50j EStG für bestimmte Tatbestände der Kapitalertragsteuer sowie für bestimmte DBA-Entlastungsansprüche zu verhindern.
Rz. 9
Treaty Shopping. Von Treaty Shopping wird gesprochen, wenn sich ein nicht privilegierter Steuerpflichtiger mithilfe eines privilegierten Steuerpflichtigen in dessen DBA "einkauft". Es existieren unterschiedliche Formen dieser Art der missbräuchlichen Steuergestaltung. Ebenfalls gegen Treaty Shopping im Rahmen der Entlastung von Abzugsteuern gerichtet ist die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG. Dort besteht die steuerliche Gestaltung in der Zwischenschaltung einer Gesellschaft zwischen die Beteiligung eines ausländischen Steuerpflichtigen an einer inländischen Gesellschaft (s. im Einzelnen § 50d Abs. 3 EStG Rz. 10). Im Gegensatz dazu besteht beim Treaty Shopping, das durch die Regelung des § 50j EStG verhindert werden soll, gewöhnlich keine gesellschaftsrechtliche Beteiligung des nicht privilegierten Steuerpflichtigen am privilegierten Steuerpflichtigen. Das Treaty Shopping ist abzugrenzen von weiteren Shopping-Formen im Rahmen der Kapitalertragsteuer, wie z.B. dem sog. Directive Shopping, mit dem ein Steuerpflichtiger mithilfe eines anderen Steuerpflichtigen versucht, einen Entlastungsanspruch beispielsweise nach § 43b EStG – auf der Grundlage der sog. Mutter-Tochter-Richtlinie (Parent-Subsidiary Directive) 2011/96/EU – zu erlangen, dessen Voraussetzungen er selbst nicht erfüllt.
Rz. 10
Cum/Cum. Mit dem Begriff "Cum/Cum" beschreibt die Finanzverwaltung eine "Aktientransaktion, bei der das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft ‚mit Dividendenberechtigung‘ vereinbart wird und die anschließende Lieferung der Aktien (dingliches Verfügungsgeschäft) ebenfalls ‚mit Dividendenberechtigung‘ erfolgt." Im Kontext des § 50j EStG ist damit die Übertragung der Aktien vom nicht privilegierten Steuerpflichtigen auf den DBA-privilegierten Steuerpflichtigen (vgl. Rz. 47 ff.) gemeint, der daraufhin die Dividende bezieht, auf welche die Kapitalertragsteuer abgeführt wird. Die Übertragung kann dabei in unterschiedlichen Formen erfolgen: als Verkauf, Wertpapierleihe oder Wertpapierpensionsgeschäft. Die Betonung des "Cum/Cum" im Rahmen des gesetzgeberischen Telos des § 50j EStG (s. Rz. 8) dient dabei zum einen der Abgrenzung von sog. "Cum/Ex"-Geschäften, bei denen die Lieferung der Aktien ohne Dividendenberechtigung erfolgt. Mit diesen Geschäften wurden in der Vergangenheit zum Teil Steuerhinterziehungsmodelle betrieben, die auf die Ausstellung mehrerer Steuerbescheinigungen für denselben Dividendenbezug gerichtet waren. Diese Modelle betrifft § 50j EStG nicht. Zum anderen grenzt der Begriff des "Cum/Cum" von weiteren Formen des Treaty Shopping ab, bei denen die Steuergestaltung nicht durch die Übertragung von Aktien an einen fremden Dritten, sondern auf andere Weise erfolgt, z. B. durch Zwischenschaltung einer Gesellschaft wie im Fall des § 50d Abs. 3 EStG (vgl. Rz. 9).
Rz. 11
Zusammenspiel mit § 36a EStG. Die Verhinderung des "Cum/Cum-Treaty-Shopping" (s. Rz. 8) durch die Regelung des § 50j EStG ist im Zusammenhang zu sehen mit der Vorschrift des § 36a EStG, die als Schwestervorschrift bezeichnet werden kann. Während § 50j EStG die DBA-Entlastungsansprüche von beschränkt Steuerpflichtigen betrifft, die nicht veranlagt werden und daher dem gesonderten Entlastungsverfahren des § 50d Abs. 1–6 EStG unterliegen, soll § 36a EStG Entlastungen aufgrund von Steuergestaltungen verhindern, bei denen eine vorübergehende Übertragung bestimmter Wertpapiere auf einen privilegierten veranlagten – d. h. in der Regel, aber nicht ausschließlich (vgl. Rz. 57): inländischen – Steuerpflichtigen erfolgt. Veranlag...