Dr. Nils Häck, Dr. Julian Böhmer
a) Fiktive Veräußerung und Gewinnrealisierungszeitpunkt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2)
"... stehen bei unbeschränkt Steuerpflichtigen der Veräußerung von Anteilen im Sinne des § 17 Absatz 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes zum gemeinen Wert gleich, ..."
Rz. 495
Fiktive Veräußerung der Anteile. Die Verwirklichung eines Wegzugsteuertatbestands i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 führt zu einer "fiktiven Veräußerung" ("stehen der Veräußerung gleich", dazu ausf. Rz. 551) der Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG durch den die Anteile haltenden oder übertragenden Anteilsinhaber zu dem jeweils in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 präzisierten Gewinnrealisierungszeitpunkt (dazu Rz. 496 ff.). Hierbei handelt es sich um einen Rechtsfolgenverweis auf § 17 EStG. Auf den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 ist der Veräußerungsgewinn (so die Bezeichnung in § 6 Abs. 1 Satz 3) bzw. Vermögenszuwachs (so die Bezeichnung in der Paragrafenüberschrift) zu ermitteln (s. Rz. 506). Obwohl die Tatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 1 rechtssystematisch eine "Veräußerung" i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG fingieren, ist für die Anwendung von § 6 Abs. 1 nicht erforderlich, dass der Anteilseigner die Anteile in dem Zeitpunkt der Verwirklichung einer der Tatbestände i.S.v. § 6 Abs. 1 rechtlich tatsächlich hätte veräußern können.
„ 2 Die Veräußerung im Sinne des Satzes 1 erfolgt im Fall des
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1. Satzes 1 Nummer 1 im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht, |
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2. Satzes 1 Nummer 2 im Zeitpunkt der Übertragung, |
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3. Satzes 1 Nummer 3 unmittelbar vor dem Zeitpunkt, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts eintritt.” |
Rz. 496
Bedeutung des § 6 Abs. 1 Satz 2. Der nach § 6 Abs. 1 steuerpflichtige Veräußerungsgewinn entsteht nach der gesetzlichen Regelungstechnik zeitlich nicht mit der Tatbestandsverwirklichung i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, sondern in dem gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 für jeden der Wegzugsteuertatbestände i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 präzisierten Zeitpunkt der fiktiven Veräußerung. Auch wenn hiermit systematisch der Zeitpunkt der Verwirklichung eines Wegzugsteuertatbestands und der Zeitpunkt der den Veräußerungsgewinn auslösenden fiktiven Veräußerung zu unterscheiden sind, fallen sie zumindest bei Tatbestandsverwirklichung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 zusammen (s. Rz. 497 und 498), nicht aber in Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (s. Rz. 499). § 6 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert damit die Gewinnrealisierungszeitpunkte in Abhängigkeit von der Tatbestandsverwirklichung nach Abs. 1 Satz 1.
Rz. 497
Fall des § 6 Abs. 1 Nr. 1. Bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 1 erfolgt die Veräußerung „im Zeitpunkt” der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). Dies entspricht der Formulierung in § 6 Abs. 1 Satz 1 a. F. BFH, Finanzverwaltung und h.M. verstehen die Formulierung ("im Zeitpunkt") so, dass sich die Tatbestandsverwirklichung noch im allerletzten Zeitpunkt der unbeschränkten Steuerpflicht ("gleichzeitig") vollzieht, daher nicht erst im ersten (logischen) Moment der vollendeten Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht, was ansonsten dazu führen könnte, dass ein Steueranspruch Deutschlands bereits durch die einsetzende Anwendung eines DBA "gesperrt" wäre. Es bleibt zwar weiterhin die Frage, wie Tatbestandsverwirklichung und Rechtsfolge zeitlich zusammenfallen können, wenn der Tatbestand erst vollzogen sein muss, um die Rechtsfolge auszulösen. Der Wortlaut lässt eine solche Auslegung aber zu und entspricht sicherlich am ehesten dem gesetzgeberischen Willen.
Rz. 498
Fall des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Für unentgeltliche Übertragungen auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) erfolgt die Veräußerung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 "im Zeitpunkt" der Übertragung. Dies war in § 6 a.F. so zwar nicht ausdrücklich geregelt, ergab sich aber aus dem systematischen Zusammenhang. Auch hier ist die Tatbestandsverwirklichung in dem Sinne auf den (letzten) Zeitpunkt des Übergangs des rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen zu beziehen, dass sich die Tatbestandsverwirklichung im letzten Moment der Inhaberschaft des i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 unbeschränkt Steuerpflichtigen bezieht.
Rz. 499
Fall des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. Für den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ordnet § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ausdrücklich an, dass die fiktive Veräußerung unmittelbar vor dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts eintritt. Insoweit hat sich der Gesetzgeber für künftige Fälle hier ausdrücklich für die Alternative der "vorgelagerten" Tatbestandsverwirklichung entschieden. Die Finanzverwaltung hatte sich in der Vergangenheit für die unter § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG a.F. fallenden Konstellationen im ...