Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 3321
Fiktion schuldrechtlicher Beziehungen. Betriebsstätten kommt als unselbständigen Teilen des Unternehmens keine eigene Rechtsfähigkeit zu, weshalb sie untereinander keine schuldrechtlichen Vereinbarungen schließen können. Gleichwohl geschlossene Vereinbarungen sind steuerrechtlich unbeachtlich. Um den Bereich der betriebsstättenbezogenen Gewinnermittlung/-aufteilung der Angemessenheitskontrolle des § 1 zugänglich zu machen, hat der Gesetzgeber daher mit dem AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 das Tatbestandsmerkmal der "anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung" in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 eingefügt (zu den Tatbestandsvoraussetzungen von § 1 Abs. 4 im Einzelnen s. Anm. 2748 ff.). Für betriebsstättenbezogene Sachverhalte werden auf der Grundlage einer Funktions- und Risikoanalyse schuldrechtliche Beziehungen fingiert, die gegeben wären, wenn die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen jeweils rechtlich selbständige Unternehmen wären. Die Definition der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung stellt damit auf die ökonomischen Auswirkungen eines wirtschaftlichen Vorgangs ab. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist jeweils diejenige schuldrechtliche Beziehung anzunehmen, die "den jeweils ausgeübten Personalfunktionen und übernommenen Risiken am besten entspricht". Dazu können schuldrechtliche Beziehungen jeder Art fingiert werden, sodass auch z.B. Kostenumlageverträge o.Ä. umfasst sind.
Ausgangspunkt der Identifizierung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen ist jeweils die Funktions- und Risikoanalyse (Anm. 2928), auf deren Grundlage die Zuordnung der Personalfunktionen (Anm. 3012 ff.) und die Zuordnung der Vermögenswerte, Chancen und Risiken usw. (Anm. 3021 ff.) erfolgt. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind schließlich Reflex der vorgenannten Zuordnungen, weil sie das Verhältnis der Ausübung von Personalfunktionen in den verschiedenen Betriebsstätten betreffen. Die Annahme einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 setzt dabei jeweils ein tatsächliches und identifizierbares Ereignis (wirtschaftlicher Vorgang, Anm. 2750, 2730) voraus, das eine gewisse Bedeutungsschwelle übersteigt (Anm. 3322, 3324). Die Gründe für die Feststellung, ob eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vorliegt und welcher Art diese im Einzelnen ist, sind im Rahmen der Betriebsstättendokumentation aufzuzeichnen (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 BsGaV; Anm. 2991).
Eine Zuordnungsänderung, die zu Beginn desjenigen Wirtschaftsjahrs vorzunehmen ist, für das erstmalig die BsGaV anzuwenden ist (Anm. 2923), und aufgrund der erstmaligen Geltung der BsGaV vorzunehmen ist, stellt keine anzunehmende schuldrechtliche Bedingung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 dar, weil es in diesem Fall an einem wirtschaftlichen Vorgang i.S.d. § 1 Abs. 4 (Anm. 2730) fehlt.