Dr. Nils Häck, Dr. Julian Böhmer
a) Abkommensrechtliche Behandlung tatsächlicher Veräußerungsgewinne
Rz. 116
Bedeutung für § 6. DBA haben nicht die Funktion, Besteuerungsrechte zu "begründen", sondern setzen einen innerstaatlich entstandenen Steueranspruch voraus, den sie beschränken, ausschließen oder aufrechterhalten. Die dem Art. 13 OECD-MA nachgebildeten Verteilungsnormen in den deutschen DBA betreffen die abkommensrechtliche Behandlung von Gewinnen aus der Veräußerung von Vermögen, also auch solcher aus der tatsächlichen Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen. § 6 knüpft zwar nicht an die tatsächliche Veräußerung der fraglichen Kapitalgesellschaftsanteile an, sondern verlagert die Besteuerung auf eine "fiktive" Veräußerung vor. Dennoch ist die – stets im Einzelfall zu beurteilende – abkommensrechtliche "Verteilung" der Besteuerungsbefugnisse bzgl. der tatsächlichen Veräußerungsgewinne für die Beurteilung und Anwendung von § 6 bedeutsam: Die abkommensrechtliche Behandlung der tatsächlichen Veräußerungsgewinne spielt einerseits eine Rolle für die Beurteilung der abkommensrechtlichen Zulässigkeit des § 6 (dazu Rz. 116 ff.). Andererseits ist deren Kenntnis für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 a.F. einerseits und § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 andererseits entscheidend. Nach Ansicht des BFH zu § 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 bis 3 a.F. kam es nicht darauf an, ob im Einzelfall ein deutsches Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen beschränkt oder ausgeschlossen war. Die Neufassung des § 6 und die flankierende Gesetzesbegründung zielen (weiterhin) darauf, dass in Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht) bzw. Nr. 2 (unentgeltliche Übertragung auf nicht unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen) der Verlust bzw. die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts keine Rolle spielen soll. Dies entspricht auch der Verwaltungsauffassung zu § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2. Insoweit bleiben letztlich aber verfassungsrechtliche (dazu Rz. 155) wie europarechtliche (Rz. 171 ff.) Bedenken, wenn es zu einem Steuerzugriff auch in Fällen kommen soll, in denen das deutsche Besteuerungsrecht an Anteilen weder ausgeschlossen noch beschränkt wird. Für andere wegzugsteuerrelevante Tatbestände haben die abkommensrechtlichen Verteilungsartikel für Veräußerungsgewinne ebenfalls entscheidende Bedeutung zur Beantwortung der Frage, ob deutsche Besteuerungsrechte ausgeschlossen oder beschränkt sind (s. Rz. 51 ff.). Im Folgenden geht es um die abkommensrechtlichen Besteuerungsbefugnisse bei der tatsächlichen Veräußerung von im steuerrechtlichen Privatvermögen natürlicher Personen gehaltene Kapitalgesellschaftsbeteiligungen. Diese folgen zwar gewissen Gemeinsamkeiten aufgrund der Anknüpfung an die Formulierungen der Mustertexte des Art. 13 OECD-MA bzw. Art. 13 DE-VG. Im Detail bestehen in den deutschen DBA aber erhebliche Unterschiede. Sind die Kapitalgesellschaftsanteile einem inländischen Betriebsstättenvermögen zuzuordnen, kann der Betriebsstättenstaat die Veräußerungsgewinne grds. uneingeschränkt besteuern (vgl. die dem Art. 13 Abs. 2 OECD-MA vergleichbaren Regeln, dazu ausf. Rz. 206 ff.), die Besteuerung im Ansässigkeitsstaat des Veräußerers hängt vom jeweiligen Methodenartikel und der dort vorgesehenen Methode zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung (Freistellung, Anrechnung) ab. Die dem Art. 13 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Klauseln werden für Zwecke des § 6 nur im Rahmen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 relevant bei der Frage, ob es ggf. durch Überführung der Anteile in ein ausländisches Betriebsvermögen zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommt (s. dazu Rz. 431 ff.).
Rz. 117
Grundsatz: Alleiniges Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats des Veräußerers. Die deutschen DBA enthalten i.d.R. eine dem Art. 13 Abs. 5 OECD-MA bzw. Art. 13 Abs. 5 DE-VG nachgebildete Auffangklausel für Gewinne aus der Veräußerung von in den übrigen Absätzen nicht genannten Vermögensgegenständen, die ausschließlich im Ansässigkeitsstaat des Veräußerers besteuert werden dürfen. Ist bspw. der Veräußerer in einem Staat mit entsprechender Abkommensklausel ansässig und veräußert er Anteile an einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft, wird der deutsche Steueranspruch, der sich im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst aa EStG ergibt, ausgeschlossen. Gleiches gilt i.d.R. bei unbeschränkter Steuerpflicht des Veräußerers in beiden Vertragsstaaten, wenn er über eine dem Art. 4 OECD-MA/DE-VG vergleichbare Klausel als im anderen Vertragsstaat ansässig gilt. Zu berücksichtigen ist, dass Art. 13 Abs. 5 OECD-MA/DE-VG auch das Besteuerungsrecht für Drittstaatenfälle regelt, Art. 21 Abs. 1 findet daher auf Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nie Anwendung. Die deutschen DBA enthalten verschieden...