Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 40
Fremdvergleichsgrundsatz gem. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Art. 9 OECD-MA regelt die internationale Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen, die, ebenso wie die damit in einem unmittelbaren Zusammenhang stehende Thematik der internationalen Verrechnungspreise, immer mehr im Fokus der deutschen und internationalen Finanzbehörden steht. Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung ist die Befürchtung der Fisci, dass Unternehmensgewinne in ausländische Staaten verlagert werden (vgl. Rz. 17 ff.). Vor diesem Hintergrund hat sich – nicht zuletzt aufgrund des Wirkens der OECD und der Vorgaben des OECD-MA – mit dem Fremdvergleichsgrundsatz (sog. "arm's length principle") ein von den internationalen Finanzbehörden anerkannter Maßstab zur Ermittlung und Dokumentation von Verrechnungspreisen herausgebildet. Nach dem in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA definierten Fremdvergleichsgrundsatz sind Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen so zu bemessen, wie sie zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen für eine entsprechende Lieferung oder Leistung vereinbart worden wären.
Rz. 40.1
Fortgeltung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nach dem BEPS-Projekt. Die (durchaus berechtigte) Sorge der internationalen Finanzbehörden, dass durch unangemessene – d.h. fremdunübliche – Verrechnungspreise Gewinne in Staaten mit geringer Steuerbelastung "verlagert" werden, hat die OECD veranlasst, sich im Rahmen des BEPS-Projekts ausführlich mit der internationalen Gewinnabgrenzung und der Bestimmung von Verrechnungspreisen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz auseinanderzusetzen. Wenngleich Verrechnungspreissachverhalte im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD und der G20-Staaten als wesentliche Ursache für Gewinnverlagerungen in niedrig besteuerten Staaten identifiziert wurden, hat die OECD am Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise festgehalten und Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht angepasst. Gleichwohl überraschte es nicht, dass vier der 15 BEPS-Aktionspunkte der OECD unmittelbar die Bestimmung, Prüfung und Dokumentation internationaler Verrechnungspreise betreffen: Aktionspunkt 8 beschäftigt sich mit den Verrechnungspreisen in Bezug auf immaterielle Vermögenswerte, Aktionspunkt 9 mit der vertraglichen Zuordnung von Risiken, Aktionspunkt 10 mit anderen risikobehafteten Bereichen der Verrechnungspreise und Aktionspunkt 13 mit der Verrechnungspreisdokumentation und dem Country-by-Country Report. Aus den genannten Aktionspunkten der OECD ergeben sich zahlreiche, teilweise grundlegende Anpassungen der OECD-Verrechnungspreisleitlinien.
Rz. 40.2
Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als Gewinnkorrekturvorschrift. Bei Art. 9 Abs. 1 OECD-MA – bzw. präziser die dieser Vorschrift nachgebildete konkrete Abkommensnorm – handelt es sich um eine Gewinnkorrekturvorschrift. Sie erlaubt es den Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen im Hinblick auf unangemessene Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen vorzunehmen. Der Begriff "Gewinn" umfasst auch Verluste, welche aufgrund nicht fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise zu hoch ausgewiesen wurden. In diesem Zusammenhang definiert Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zunächst den Begriff der verbundenen Unternehmen. Darüber hinaus bestimmt die Vorschrift den Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab, auf Basis dessen die Angemessenheit von Verrechnungspreisen zu prüfen ist. Der Fremdvergleichsgrundsatz dient einerseits als Tatbestandsvoraussetzung für eine Gewinnkorrektur. Denn sind zwischen den verbundenen Unternehmen vereinbarte Bedingungen nicht fremdvergleichskonform, kann ein Vertragsstaat eine Gewinnkorrektur – auf Basis seiner innerstaatlichen Einkünftekorrekturvorschriften – durchführen. Andererseits fungiert der Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab der Ermittlung der Gewinnkorrektur der Höhe nach, nämlich als Unterschiedsbetrag zwischen dem (unangemessenen) Verrechnungspreis und dem Fremdvergleichspreis. Eine weitergehende Gewinnkorrektur ist abkommensrechtlich nicht zulässig.
Rz. 40.3
Ziele der Vorschrift. Die Vorschrift verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Einerseits sollen die Vertragsstaaten durch eine am Fremdvergleichsgrundsatz ausgerichtete Ermittlung von Verrechnungspreisen vor einer Verlagerung von Besteuerungssubstrat in den anderen Vertragsstaat geschützt werden. Denn insofern besteht die Befürchtung, dass durch eine gezielte Gestaltung der Verrechnungspreismethodik Gewinne in den Vertragsstaat verlagert werden, welcher über einen geringeren Ertragsteuertarif verfügt. Andererseits sollen durch die Regelungen des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA die Finanzbehörden der Vertragsstaaten gehindert werden, unbegründete bzw. willkürliche Gewinnkorrekturen durchzuführen. Insoweit schützt die Vorschrift nicht nur die Finanzbehörden, sondern aufgrund seiner Sperrwirkung gegenüber innerstaatlichem Recht auch den Steuerpflichtigen. Die Spe...