Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 247
Die verdeckte Gewinnausschüttung führt bei dem Empfänger zu einer Einnahme aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Soweit eine verdeckte Gewinnausschüttung von einer Körperschaft erbracht wird, die keine Gewinnausschüttungen vornehmen kann, fallen die Leistungen nicht unter diese Vorschrift. Diese Fälle werden jedoch nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG sowie nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG (Leistungen der Betriebe gewerblicher Art) als steuerbare Einnahmen bei dem Leistungsempfänger erfasst. In § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG wird die Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG über die Erfassung der verdeckten Gewinnausschüttung bei dem Anteilseigner ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt.
Rz. 248
Grundsätzlich ist die verdeckte Gewinnausschüttung auf der Seite des Empfängers ebenso definiert wie auf der Seite der Körperschaft nach § 8 Abs. 3 KStG. Es handelt sich um eine Vermögensverschiebung von der Gesellschaft zum Gesellschafter auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage. Der abweichenden Ansicht des BFH ist nicht zu folgen. In diesen Urteilen hat der BFH entschieden, dass bei der Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen durch einen Fremdgeschäftsführer zwar eine verdeckte Gewinnausschüttung bei der Kapitalgesellschaft vorliegen kann, dass aber kein Zufluss bei dem Gesellschafter erfolgt, wenn er von der Vermögensverfügung des Geschäftsführers nichts wusste. Stattdessen könnten bei dem Geschäftsführer Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit oder aus Gewerbebetrieb vorliegen. M. E. schließen sich die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung bei der Kapitalgesellschaft und von Arbeitslohn oder gewerblichen Einkünften bei einem Fremdgeschäftsführer denkgesetzlich aus. Derselbe Vorgang kann nicht bei der Kapitalgesellschaft zugleich gesellschaftsrechtlich (verdeckte Gewinnausschüttung) und betrieblich (Arbeitslohn bzw. sonstige Betriebsausgabe) veranlasst sein. Wird eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung im Verhältnis zum Gesellschafter abgelehnt, weil er keine Kenntnis von dem Handeln des Fremdgeschäftsführers hatte, können auf der Ebene der Kapitalgesellschaft keine gesellschaftsrechtliche Veranlassung und damit keine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen. Vielmehr handelt es sich bei der Kapitalgesellschaft um einen betrieblich veranlassten Vermögensverlust, bei dem Geschäftsführer um Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, aus Gewerbebetrieb oder nach § 22 Nr. 3 EStG.
Rz. 249
Ob und in welchem Zeitpunkt die Einnahme aus der verdeckten Gewinnausschüttung bei dem Anteilseigner steuerlich zu erfassen ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Der Vermögensvorteil muss also unter einen der Tatbestände des § 20 Abs. 1, 9 oder 10 EStG fallen und bei einem nicht bilanzierenden Empfänger i. S. d. § 11 EStG zugeflossen sein. Bei einem bilanzierenden Gesellschafter ist maßgebend, wann die Gewinnausschüttung nach bilanziellen Grundsätzen bei ihm zu erfassen ist. Ein Zufluss liegt bei Barauszahlung oder Gutschrift auf dem Konto des Gesellschafters vor, darüber hinaus auch, wenn die Forderung in den Büchern der Gesellschaft gebucht und zum Ausdruck gebracht wird, dass der Berechtigte über den Betrag jederzeit verfügen kann. Dazu muss die Gesellschaft leistungsbereit und leistungsfähig sein, sodass der Gesellschafter sich den Betrag jederzeit verschaffen kann. Der Zufluss wird daher nur durch eine Stundung vor Fälligkeit hinausgeschoben.
Rz. 250 einstweilen frei
Rz. 251
Hat der Gesellschafter einen Gegenstand von der Gesellschaft erworben, liegt ein Zufluss in dem Zeitpunkt vor, in dem er das bürgerlich-rechtliche oder das wirtschaftliche Eigentum an dem Gegenstand erwirbt. Hat der Gesellschafter einen Vermögensgegenstand an die Gesellschaft verkauft und fließt die Gegenleistung in Raten zu, sind die jeweiligen Raten als verdeckte Gewinnausschüttung zu erfassen, und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem die Summe der bereits gezahlten Raten den angemessenen Teil des Kaufpreises übersteigt.
Rz. 252
Die verdeckte Gewinnausschüttung ist bei dem Gesellschafter mit dem Marktwert zu erfassen.
Rz. 253
Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung auf der Ebene der Körperschaft nach § 8 Abs. 3 KStG ist von der Erfassung der verdeckten Gewinnausschüttung auf der Ebene des Anteilseigners nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG unabhängig. Beides kann zusammenfallen, es kann sich aber auch eine zeitliche Differenz ergeben. Bei dem Anteilseigner können Einkünfte aus Kapitalvermögen aus einer verdeckten Gewinnausschüttung auch vorliegen, ohne dass es auf der Ebene der Körperschaft zu einer verdeckten Gewinnausschüttung gekommen ist, etwa mangels Minderung der steuerpflichtigen Einkünfte bzw. des Einkommens.
Die Kapitalgesellschaft X überträgt ihrem Anteilseigner, einer natürlichen Person, unentgeltlich die Beteiligung an der Y-GmbH. Bei der X liegt keine verdeckte Gewinnausschüttung vor, da bei ihr keine Einkommensminderung eingetreten ist; die Übertragung der Beteiligung ist steuerlich u...