Carsten Schmitt, Andrea Debus
Rz. 22
Pflegeeltern und Pflegekind müssen durch ein "familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band" verbunden sein. Ein familienähnliches Band liegt vor, wenn das Kind wie zur Familie angehörig angesehen und behandelt wird. Dies setzt ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern voraus. Da das Gesetz Pflegekinder über § 32 Abs. 1, Abs. 6 S. 10 EStG und § 63 Abs. 1 S. 1 EStG in eine Reihe mit leiblichen Kindern, Adoptivkindern, Stief- und Enkelkindern stellt und das Pflegekindschaftsverhältnis steuerrechtlich u. U. über das 25. Lebensjahr hinauswirken und weiterhin zur Gewährung von Kinderfreibeträgen und Kindergeld führen kann, ist ein besonders enges Band erforderlich. Nach der Rspr. des Bundessozialgerichts (BSG) ist erforderlich, dass das Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsverhältnis seine Grundlage in einer ideellen Dauerbindung findet; dabei ist nicht allein auf die äußeren Lebensumstände, sondern auch darauf abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie eine natürliche Einheit von Versorgung, Erziehung und "Heimat" findet, also nicht nur Kostgänger ist, sondern wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich zudem, dass auch zwischen dem Pflegeelternteil und dem Pflegekind ein Autoritätsverhältnis bestehen muss, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht des Pflegeelternteils unterwirft.
Rz. 23
Entscheidend ist demzufolge, dass die Pflegeeltern das Kind wie ein eigenes betreuen, sämtliche wesentlichen Entscheidungen für das Kind treffen und für dieses der maßgebliche Ansprechpartner und damit zu Ersatzeltern geworden sind. Nicht erforderlich ist, dass die Aufnahme mit dem Ziel der Adoption erfolgt. Den Pflegeeltern braucht nicht das Personensorgerecht zuzustehen. Denn dieses kann gerade darin bestehen, dass das Kind einem Dritten als Pflegekind überlassen wird. Maßgebend ist, ob die Pflegeeltern die wesentlichen Entscheidungen des Alltags treffen. Dies schließt nicht aus, dass die leiblichen Eltern bei grundlegenden Lebensentscheidungen, z. B. beim Schulbesuch, mitreden. Wird ein Pflegekind aufgrund eines Vertrags über betreutes Wohnen in einer Familie aufgenommen, der das Zusammenleben einschließlich eines Rechts auf Urlaub des Pflegenden ohne das Pflegekind regelt, steht dies der Bildung eines familiären Bandes entgegen. Bei sog. Kostkindern, die gegen Entgelt aufgenommen werden, fehlt grds. ein familienähnliches Band (Rz. 32ff.). Bei der Aufnahme von mehr als 6 Kindern spricht die Vermutung dafür, dass es sich um Kostkinder handelt.
Rz. 24
Grundsätzlich kann jede Person, die nicht schon leiblicher Elternteil ist oder das Kind adoptiert hat, Pflegevater oder Pflegemutter sein. Die leiblichen Eltern scheiden als Pflegeeltern aus, weil § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG die Lösung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den leiblichen Eltern zur Voraussetzung für ein Pflegekindverhältnis macht. Es kommt nicht auf das Geschlecht des Pflegeelternteils und nicht darauf an, ob eine verwandtschaftliche Beziehung (z. B. Großeltern, Onkel und Tante) zu dem Kind besteht. Auch die Eigenschaft als Lediger steht nicht entgegen. Deshalb ist, wenn eine Kindschaft kraft Verwandtschaft nicht gegeben ist, immer noch zu prüfen, ob eine Pflegekindschaft vorliegt. Auch Geschwister können Pflegekinder sein, sofern die allgemeinen Voraussetzungen eines Pflegekindschaftsverhältnisses gegeben sind.
Rz. 25
Problematisch ist, ob ein bestimmter Mindestaltersunterschied zu fordern ist. Der BFH hat in der Vergangenheit eine Differenz von 14 Jahren, nicht aber von nur 1 1/4 Jahren genügen lassen. Bei einem Unterschied von 9 Jahren hat er Zweifel geäußert, die Frage aber unentschieden gelassen. Unklar ist allerdings, ob der BFH an dem Erfordernis des Mindestaltersunterschieds festhält. Denn er hat in einem Fall, in dem die aufnehmende Person jünger war als die zu pflegende, schwerbehinderte Person, die Anerkennung eines Pflegekindschaftsverhältnisses von dem Vorliegen weiterer besonderer Voraussetzungen abhängig gemacht (Rz. 28).
Rz. 26
Die Forderung nach einem Altersunterschied kann dann als unbillig erachtet werden, wenn sich Kinder nach dem Tod ihrer Eltern um eigene Geschwister kümmern, sie in ihren Haushalt aufnehmen und unterhalten. Das gilt jedenfalls dann ohne Rücksicht auf einen Altersunterschied, wenn das zu betreuende Geschwister von Kind an wegen Behinderung pflegebedürftig war und der betreuende Teil die Stelle der Eltern einnimmt. Ist das zu betreuende Geschwister dagegen erst nach Eintritt der Volljährigkeit pflegebedürftig geworden, so wird ein dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnliches Pflegeverhältnis nur unter besonderen Voraussetzungen begründet werden können (Rz. 28).
Handelt es sich hingegen bei dem aufzunehmenden Geschwister nicht um ein behindertes Kind und ist es nur unwesentlich jünger als das aufneh...