Carsten Schmitt, Andrea Debus
Rz. 77
Behinderungen i. S. v. § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG sind von der Norm abweichende körperliche oder seelische Zustände, die sich erfahrungsgemäß über einen längeren Zeitraum (mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate) erstrecken und deren Ende nicht absehbar ist. Dazu können auch Suchtkrankheiten gehören. Keine Behinderung sind Krankheiten, deren Verlauf sich auf eine im Voraus abschätzbare Dauer beschränkt, z. B. akute Erkrankungen (ähnlich § 2 Abs. 1 SGB IX). Die Finanzverwaltung und die Rspr. berücksichtigen Behinderungen nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 SGB IX. § 2 Abs. 2 und 3 SGB IX definieren dabei die Begriffe "Schwerbehinderte" und "Gleichgestellte". Schwerbehindert ist danach ein Kind mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 % (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Gleichgestellt sind Kinder mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 %, aber mindestens 30 % (§ 2 Abs. 3 SGB IX).
Eine drohende Behinderung ist nicht ausreichend.
Rz. 78
Die Behinderung ist glaubhaft zu machen und ggf. nachzuweisen. Der Nachweis ist zwar grds. durch Vorlage eines Schwerbehindertenausweises, einer Bescheinigung des Versorgungsamts oder eines Rentenbescheids zu führen. Anders als im Rahmen des § 33b EStG (§ 33b Rz. 33) handelt es sich mangels entsprechender gesetzlicher Ermächtigung hier aber nicht um Grundlagenbescheide. Der Stpfl. kann das Vorliegen der Voraussetzungen daher auch in anderer Form nachweisen. Danach ist auch z. B. ein aussagefähiges ärztliches Gutachten anzuerkennen, das von einem unabhängigen ärztlichen Sachverständigen erstellt worden ist. Es ist auch zulässig, ein in einem anderen Verfahren beigebrachtes Gutachten im finanzgerichtlichen Verfahren zu verwenden. Ein Anscheinsbeweis reicht allerdings nicht aus. Erforderlich ist, dass sich aus dem Nachweis das Vorliegen der Behinderung, der Beginn der Behinderung, soweit das Kind das 25. Lebensjahr vollendet hat, und die Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Kindes ergibt.
Rz. 79
Die Behinderung muss ursächlich, d. h. zumindest mitursächlich, dafür sein, dass das Kind sich nicht selbst unterhalten kann. Dies ist nur der Fall, wenn die Behinderung (objektiv) keine Erwerbstätigkeit zulässt, die die Deckung des Lebensbedarfs ermöglicht. Ob die Lage auf dem Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zulässt, ist nicht entscheidend. Zu prüfen ist daher, ob eine entsprechende Erwerbstätigkeit denkbar ist. Unbeachtlich ist, ob die mögliche Erwerbstätigkeit dem Behinderten nach seinem Bildungs- und Ausbildungsstand (subjektiv) zugemutet werden kann.
Nach der Rspr. kann die Ursächlichkeit der Behinderung entsprechend den Verwaltungsanweisungen grundsätzlich angenommen werden, wenn im Schwerbehindertenausweis das Merkmal "H" (hilflos) eingetragen ist oder der GdB 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts ausgeschlossen erscheint.
Als solche besonderen Umstände gelten
- die Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen,
- der Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII oder
- die Fortdauer einer Schul- oder Berufsausbildung eines Kindes aufgrund seiner Behinderung über das 25. Lebensjahr hinaus,
- eine volle Erwerbsminderungsrente, die gegenüber dem Kind bewilligt ist oder wenn eine dauerhafte volle Erwerbsminderung nach § 45 SGB XII festgestellt ist.
Dabei handelt es sich um zur Rechtsanwendungsgleichheit vorgenommene Konkretisierungen des Grundsatzes, dass die Ursächlichkeit der Behinderung für das Außerstandesein des Kindes zum Selbstunterhalt grundsätzlich nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen ist. Dementsprechend fehlt die Ursächlichkeit, wenn der GdB weniger als 50 beträgt und keine besonderen Umstände dafür ersichtlich sind, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann. Diese in den Verwaltungsanweisungen enthaltenen (pauschalen) Vermutungen des Kausalzusammenhangs sind in beiden Fallgruppen im Einzelfall widerlegbar.
An der Ursächlichkeit fehlt es i. d. R. auch dann, wenn ein behindertes Kind wegen einer strafrechtlichen Verurteilung in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist und bereits wegen seiner Freiheitsbeschränkung keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Dies gilt selbst dann, wenn die Straftat durch die Behinderung gefördert wurde.
Zudem muss die Mitursächlichkeit erheblich sein. Die Mitursächlichkeit ist anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls festzustellen. Die Rspr. hat hierfür insbes. folgende Umstände als Indizien herausgebildet:
- Je höher der GdB ist, desto stärker wird die Vermutung für die mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt bzw. dass die Behinderung der erhebliche Grund für die fehlende Erwerbstätigkeit ist.
- Eine – nicht behinderungsspezifische – Berufsausbildung kann als Indiz für die Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsm...