Rz. 92
Der zum Steuerabzug Verpflichtete – d. h. der Schuldner der Kapitalerträge (Rz. 26), die den Verkaufsauftrag ausführenden Stellen (Rz. 27f.) bzw. die die Kapitalerträge auszahlende Stelle (Rz. 31ff.) – haftet für die KapESt, die er einzubehalten und abzuführen hat.
Haften i. S. d. Vorschrift bedeutet das Einstehen für eine fremde Steuerschuld, die Steuerschuld des Gläubigers der Kapitalerträge (Rz. 7ff.).
Rz. 93
Bis einschließlich Vz 1992 war die Haftungsinanspruchnahme des Schuldners der Kapitalerträge von einem Verschulden unabhängig.
Mit der Einführung der als Zinsabschlag zu erhebenden KapESt durch das Zinsabschlaggesetz v. 9.11.1992 wird das für die Haftung notwendige Verschulden widerlegbar vermutet. Der zum Steuerabzug Verpflichtete kann für Kapitalerträge, die dem Gläubiger nach dem 31.12.1992 zufließen, die Inanspruchnahme als Haftender abwenden, wenn er nachweist, dass er die ihm auferlegten Einbehaltungs- und Abführungspflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat.
Mit Einführung der Abgeltungsteuer auf private Kapitalerträge ist der Haftungsmaßstab unverändert geblieben.
Rz. 94
Vorsätzlich handelt, wer die Pflichten gekannt und ihre Verletzung gewollt hat. Dazu genügt, dass der Betreffende die Pflichtverletzung vorausgesehen und in Kauf genommen hat; er braucht die Pflichtverletzung nicht gewünscht oder beabsichtigt zu haben.
Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maß außer Acht lässt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, oder die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt. Es gilt ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab.
Rz. 95
Als Grund für die Umstellung auf eine verschuldensabhängige Haftung nennt die Regierungsbegründung zum Zinsabschlaggesetz den Anstieg des Haftungsrisikos der inländischen Kreditinstitute durch die Einführung des Zinsabschlags, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Einführung neuer Finanzierungsformen, bei denen zunächst unsicher ist, ob und inwieweit diese Kapitalanlagen zu steuerabzugspflichtigen Kapitalerträgen oder zu einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Vermögensmehrungen führen.
Das Haftungsrisiko der Steuerabzugsverpflichteten hat sich auch dadurch erhöht, dass ihnen mit der Einführung des Zinsabschlags zusätzliche Prüfungsaufgaben übertragen wurden, wie z. B. im Zusammenhang mit der Erteilung von Freistellungsaufträgen.
Vgl. auch Rz. 56 zur Anzeigeverpflichtung des Steuerabzugsverpflichteten im Zusammenhang mit dem Steuerabzug bei Sachleistungen.
Rz. 96
Steuerschuldner (der Gläubiger der Kapitalerträge) und Haftungsschuldner (der Schuldner der Kapitalerträge, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle bzw. die die Kapitalerträge auszahlende Stelle) sind Gesamtschuldner i. S. d. § 44 AO, soweit auch der Gläubiger der Kapitalerträge nach § 44 Abs. 5 S. 2 EStG für die nicht einbehaltene bzw. die zwar einbehaltene, aber nicht abgeführte KapESt in Anspruch genommen werden kann (Rz. 119ff.).
Rz. 97
Das KapESt-Abzugsverfahren zeigt wesentliche Ähnlichkeiten mit dem LSt-Abzugsverfahren. Bei beiden Verfahren wird ein Dritter, der an den Stpfl. Beträge auszuzahlen hat, verpflichtet, darauf Steuerabzugsbeträge einzubehalten und an das FA abzuführen. Deshalb gelten für die KapESt-Haftung des zum Steuerabzug Verpflichteten die von der Rspr. zur LSt-Haftung des Arbeitgebers entwickelten Grundsätze – trotz gewisser Abweichungen – entsprechend.
Wegen Einzelheiten zur Haftung des Arbeitgebers für die LSt, die er einzubehalten und abzuführen hat, vgl. die Erl. zu § 42d EStG, R 42d LStR 2011 und H 42d LStH 2014.
Zur Haftung des Steuerabzugsverpflichteten in den Fällen des § 50a Abs. 1 und Abs. 4 vgl. § 50a EStG Rz. 170ff.
Rz. 98
Zu Verwaltungsgrundsätzen für die Bearbeitung von Haftungsfällen vgl. OFD Frankfurt/M. v. 3.11.2003, S 0370 A – 10 – St II 4.03 (s. a. AEAO zu § 91 AO).
Rz. 99
Die Nachforderung von KapESt durch Haftungsbescheid gegen den Steuerabzugsverpflichteten verstößt nicht deshalb gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil das FA mehrere Jahre eine unrichtige Anmeldung und Abführung der KapESt unbeanstandet entgegengenommen hat. Hinzukommen muss ein Verhalten des FA, das in dem Stpfl. das Vertrauen erwecken kann, das FA werde von einer Nachforderung der Steuern absehen.