Rz. 286

Die Rspr., und ihr folgend die Verwaltung in R 6.6 Abs. 4 EStR, haben es zugelassen, in bestimmten Fällen eine Gewinnverwirklichung durch Aufdecken der stillen Reserven zu vermeiden, wenn ein Wirtschaftsgut auf bestimmte, vom Willen des Stpfl. unabhängige Weise gegen Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und durch ein anderes, funktionsgleiches Wirtschaftsgut ersetzt wird. Grund für diese Judikatur ist, dass in solchen Fällen das Ausscheiden des Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen, und damit die Aufdeckung der stillen Reserven, auf ungewöhnliche, dem normalen Betriebsverlauf nicht entsprechende Weise erfolgt und unabhängig vom Willen des Stpfl. ist. Die aufgrund eines solchen Vorgangs gewährte Entschädigung soll die Anschaffung eines Ersatzwirtschaftsguts ermöglichen; dieser Zweck wäre gefährdet, wenn ein Teil der Entschädigung zur Entrichtung der durch die Aufdeckung der stillen Reserven entstehenden Steuer verwendet werden müsste.

Da bei solchen Vorgängen lediglich der Betrieb im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden soll, indem ein Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird, der entstehende Gewinn durch Aufdecken der stillen Reserven also nicht Ausdruck einer gesteigerten Leistungsfähigkeit des Betriebs ist, wird vom Ausweis und damit der Versteuerung des Gewinns abgesehen (vgl. allgemein Rz. 148ff.).

 

Rz. 287

Das bilanztechnische Mittel zur Vermeidung der Versteuerung der aufgedeckten stillen Reserven ist die Übertragung der stillen Reserven auf das Ersatzwirtschaftsgut, d. h., der Ansatz des Ersatzwirtschaftsguts in der Bilanz mit den um die übertragenen stillen Reserven geminderten Anschaffungs- oder Herstellungskosten, wobei der verbleibende Betrag dann als Anschaffungs- oder Herstellungskosten gilt[1], wenn das Ersatzwirtschaftsgut im selben Jahr angeschafft oder hergestellt wird, oder die Bildung einer entsprechenden steuerfreien Rücklage, wenn die Anschaffung oder Herstellung des Ersatzwirtschaftsguts in einem späteren Zeitraum erfolgt.[2]

 

Rz. 287a

Die Möglichkeit der Übertragung der stillen Reserven nach R 6.6 EStR ist eine gewohnheitsrechtlich anerkannte, verfestigte Möglichkeit, die Gewinnrealisierung zu vermeiden.[3] Sie stellt eine Ausnahme vom den Gewinnausweis beherrschenden Realisationsgrundsatz dar (Rz. 66ff.) und ist daher keiner erweiternden Analogie fähig. Insbesondere kann eine auf vertraglicher Grundlage beruhende Schadensersatzleistung in ihren Gewinnauswirkungen nicht durch eine Übertragung der stillen Reserven oder eine Rücklage für Ersatzbeschaffung neutralisiert werden.[4]

 

Rz. 288

Eine steuerfreie Rücklage für Ersatzbeschaffung kann gebildet werden, bzw. die in dem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven können steuerneutral auf ein Ersatzwirtschaftsgut übertragen werden, wenn ein Wirtschaftsgut des Anlage- oder Umlaufvermögens durch höhere Gewalt (Diebstahl, Feuer, Naturkatastrophen) oder als Folge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs (z. B. Enteignung) aus dem Betriebsvermögen gegen Entschädigung ausscheidet und dabei die in diesem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven aufgelöst werden.[5]

 

Rz. 289

Voraussetzung ist, dass das Wirtschaftsgut im rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Eigentum des Stpfl. steht und er das Wirtschaftsgut daher zu bilanzieren hatte. Ist das nicht der Fall, z. B. bei einem Kaufvertrag/Anwartschaftsrecht, bei dem das wirtschaftliche Eigentum noch nicht übergegangen war, kann die Rücklage nicht gebildet werden.[6] Da es dann beim Stpfl. nicht zu einer Auflösung der stillen Reserven kommt, fehlt es an einem Bedürfnis für die Bildung der Rücklage.

 

Rz. 290

Eine freiwillige Veräußerung des Wirtschaftsguts ermöglicht die Bildung der Rücklage nur, wenn sie einen sicher bevorstehenden behördlichen Eingriff vermeiden soll. Keine drohende Enteignung liegt dagegen vor, wenn nur die Möglichkeit einer Enteignung (z. B. aufgrund eines Gesetzes) besteht; es müssen weitere Umstände hinzukommen, z. B. die Erklärung der zuständigen Behörde, ein Enteignungsverfahren einleiten zu wollen.[7] Entscheidend ist, dass ein unmittelbarer, ursächlicher Zusammenhang zwischen dem behördlichen Eingriff und der Veräußerung des Wirtschaftsguts bzw. der Beschaffung des Ersatzwirtschaftsguts dargetan werden kann. Dieser kausale, von außen kommende behördliche oder sonstige unabänderliche Zwang kann nicht durch andersartige Zwangssituationen ersetzt werden. Insbesondere genügt eine wirtschaftliche Zwangslage nicht, und zwar auch dann nicht, wenn das Unterlassen der Maßnahme eine eindeutige wirtschaftliche Fehlmaßnahme darstellen würde[8] oder wenn die wirtschaftliche Zwangslage Folge eines behördlichen Eingriffs ist.[9]

 

Rz. 291

Die steuerneutrale Bildung der Rücklage ist nur möglich, wenn es sich um eine außergewöhnliche, von außen kommende unabänderliche Zwangslage handelt, wie Naturkatastrophen (Feuer, Sturm, Überschwemmung), Diebstahl oder Enteignung. Plötzlicher Tod eines Tieres aufgrund einer Krankheit kann eine solche Zwangslage begründen.[10] Andere...

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