Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 29
§ 50c Abs. 2 S. 3 EStG enthält eine besondere Bestimmung, die eine Änderung der Steueranmeldung aufgrund der Freistellungsbescheinigung ausschließt. Liegt im Zeitpunkt der Zahlung der Vergütung noch keine Freistellungsbescheinigung vor, darf der Steuerabzug nach § 50c Abs. 1 S. 1 EStG nicht unterbleiben, auch wenn der Ermäßigungsanspruch eindeutig besteht. Die später erteilte Freistellungsbescheinigung hat daher regelmäßig keine Rückwirkung. Eine Ausnahme enthält jedoch der zweite Halbsatz. Danach kann eine Steueranmeldung geändert werden, wenn die Freistellungsbescheinigung zum Zeitpunkt der Anmeldung noch nicht erteilt worden ist. Diese Regelung hängt zusammen mit § 50c Abs. 2 S. 4 EStG. Danach kann der Freistellungsbescheinigung Wirkung ab dem Tag des Eingangs des Antrags beim BZSt zuerkannt werden. Da das BZSt nach § 50c Abs. 2 S. 6 EStG innerhalb von 3 Monaten nach Vorlage aller erforderlichen Nachweise zu entscheiden hat, kann die Freistellungsbescheinigung in diesem Rahmen Rückwirkung entfalten. Ist in diesem Rückwirkungszeitraum die Anmeldung zum Steuerabzug erfolgt, kann die Anmeldung bei rückwirkender Erteilung der Freistellungsbescheinigung entsprechend geändert werden.
Rz. 30
Eine Änderung der Steueranmeldung für eine vorher erfolgte Zahlung der Vergütung kommt daher schon aus diesem Grund nicht in Betracht. § 50c Abs. 2 S. 3 EStG behandelt daher den Fall, dass dem Abzugsverpflichteten im Zahlungszeitpunkt der Vergütung die Freistellungsbescheinigung vorliegt, er sich aber trotzdem entscheidet, den Steuerabzug ungemindert vorzunehmen und den einbehaltenen Betrag an die Finanzbehörde abzuführen. Das würde dem Abzugsverpflichteten bzw. dem Vergütungsgläubiger die Option eröffnen, entweder das Erstattungsverfahren bzw. die Anrechnung der einbehaltenen Steuer oder das Verfahren zur Änderung der Steueranmeldung zu betreiben. Abgesehen davon, dass ein solches doppeltes Verfahren zu einer Erschwerung für die Verwaltung führen würde, könnte es zu Doppelerstattungen kommen. Der Abzugsverpflichtete könnte nach § 164 AO eine Änderung der Steueranmeldung beantragen, die nach § 168 AO als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gilt, während der Vergütungsgläubiger gleichzeitig das Erstattungsverfahren nach § 50c Abs. 3 EStG oder die Anrechnung des Steuerabzugsbetrags auf seine Steuerschuld betreiben könnte. Die Gefahr der Doppelerstattungen ist bei der KapESt besonders hoch, da die Anmeldung und Abführung der Steuer, und damit auch eine Erstattung aufgrund einer Änderung der Steueranmeldung bei dem Betriebsstätten-FA des Zahlungsverpflichteten erfolgt, während das Erstattungsverfahren nach § 50c Abs. 3 EStG beim BZSt zu betreiben ist.
Rz. 31
Folge der Regelung ist, dass abgesehen von dem Fall des § 50c Abs. 2 S. 3 Halbs. 2 EStG nur ein einziges Verfahren betrieben werden kann, wenn der Steuerabzug erfolgt ist, nämlich das Erstattungsverfahren nach § 50c Abs. 3 EStG. Für den Fall der Änderung der Steueranmeldung nach § 50c Abs. 2 S. 3 Halbs. 2 EStG enthält das Gesetz keine Regelung zum Verhältnis zum Erstattungs- bzw. Anrechnungsverfahren. M. E. ist das Verfahren der Änderung der Steueranmeldung vorrangig. das bedeutet, dass die Änderung der Steueranmeldung erfolgen muss, wenn die Voraussetzungen des § 50c Abs. 2 S. 3 Halbs. 2 EStG vorliegen.
Rz. 32
Soweit der Ermäßigungsanspruch auf einer in nationales Recht umgesetzten EU-RL beruht, dürfte die Regelung EU-rechtskonform sein, weil dem Stpfl. ein ausreichend effektives Erstattungsverfahren eröffnet wird. EU-rechtlich ist nicht erforderlich, zwei Verfahren alternativ oder kumulativ zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen dürfte der Rechtfertigungsgrund der ordnungsgemäßen Durchführung der Verwaltungsverfahren gegeben sein, da die Verhinderung von Doppelerstattungen ein EU-rechtskonformes Ziel ist. Hinzu kommt, dass die Zins- und Lizenzrichtlinie in Art. 1 Abs. 11 dieses Verfahren ausdrücklich zulässt. Die Mutter-Tochter-Richtlinie enthält zwar keine ausdrückliche Vorschrift, doch dürfte eine angemessene Vorschrift zur Vermeidung von Doppelerstattungen mit dem Zweck der RL vereinbar sein.