Dipl.-Finanzwirt Rüdiger Happe, Prof. Dr. Axel Mutscher
Rz. 41
Der Grundsatz der Einzelbewertung folgt aus § 240 Abs. 1 und 2 HGB, aus § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB und aus § 6 Abs. 1 S. 1 EStG: Jeder Kaufmann hat die einzelnen Vermögensgegenstände bzw. die einzelnen Wirtschaftsgüter und Schulden für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs aufzunehmen. Die Vermögensgegenstände und Schulden sind nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten. Der Grundsatz der Einzelbewertung kommt zudem zum Ausdruck in dem Gebot des vollständigen Ausweises sämtlicher Vermögensgegenstände nach § 246 Abs. 1 HGB und in dem Verbot der Saldierung von Posten der Aktivseite mit solchen der Passivseite nach § 246 Abs. 2 HGB. Zweck des Grundsatzes der Einzelbewertung ist es, die Bilanzklarheit zu gewährleisten und eine Saldierung von Posten der Aktivseite mit Posten der Passivseite zu verhindern (§ 246 Abs. 2 HGB).
Rz. 42
Die Festlegung des Bewertungsgegenstands nach dem Grundsatz der Einzelbewertung ist nicht Selbstzweck, sondern dient dem zutreffenden Ausweis der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens (§ 246 Abs. 2 HGB). Aufgrund des Grundsatzes der Einzelbewertung ist der kleinste Sachverhalt für die Bewertung maßgeblich, der nach der Verkehrsanschauung als selbstständig realisierbar und bewertbar angesehen wird. Was Bewertungsgegenstand ist, ergibt sich aus § 4 Abs. 1 EStG und § 5 EStG; sodann regelt § 6 EStG die Bewertung dieser Objekte.
Rz. 43
Der Grundsatz der Einzelbewertung gilt nach § 6 Abs. 1 EStG auch für die Steuerbilanz ("Für die Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter"). Die Bewertung ist nach den Risiken und den individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Wirtschaftsguts und der jeweiligen Schuld auszurichten. Zur Veranschaulichung des Grundsatzes der Einzelbewertung bildet Weber-Grellet das Beispiel, dass ein Gebäude auch dann auf seinen niedrigeren Teilwert abgeschrieben werden darf, wenn der Buchwert des Grund und Bodens stille Reserven enthält.
Rz. 44
Infolge des Grundsatzes der Einzelbewertung rechtfertigt die nachhaltige Unrentabilität eines Unternehmens weder einen pauschalen Abschlag auf den Wert des Betriebsvermögens noch den Ansatz eines negativen Firmenwerts oder eine Korrektur der Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter. Eine Teilwertabschreibung unter die Wiederbeschaffungskosten kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Unternehmen konkrete Maßnahmen trifft, um den Betrieb so bald wie möglich zu liquidieren oder stillzulegen.
Rz. 45
Der Grundsatz der Einzelbewertung gilt nicht ausnahmslos. § 240 Abs. 3 HGB gestattet eine Bewertung von Anlagegegenständen sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen von nachrangiger Bedeutung, die regelmäßig ersetzt werden, mit einem Festwert (s. Rz. 48ff.). Außerdem bietet § 240 Abs. 4 HGB die Möglichkeit der Gruppenbewertung gleichartiger Gegenstände des Vorratsvermögens (s. Rz. 56ff.). § 256 HGB und § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG erlauben es, das Lifo-Verfahren für gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens zu wählen (s. Rz. 63ff.). Der durch das BilMoG eingefügte § 254 HGB schafft das Wahlrecht, Bewertungseinheiten zu bilden, in denen Vermögensgegenstände, Schulden und schwebende Geschäfte mit gegenläufigen, Sicherungszwecken dienenden Finanzinstrumenten zusammengefasst werden. Derartige gebildete Bewertungseinheiten sind nach § 5 Abs. 1a EStG auch für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich. Steuerlich wird damit das Imparitätsprinzip nicht mehr angewendet und entsprechender Aufwand nicht berücksichtigt, solange die Bewertungseinheit besteht.
Rz. 46
Pauschale Bewertungsverfahren sind als Ausnahme von dem Grundsatz der Einzelbewertung zulässig, wenn die individuelle Ermittlung des Werts und der Risiken eines einzelnen Bewertungsgegenstands objektiv unmöglich, schwierig oder unzumutbar erscheint, sodass erst die zusammengefasste Bewertung mehrerer Wirtschaftsgüter oder Schulden ein zutreffendes Bild der Vermögensverhältnisse des Kaufmanns und des Stands seiner Schulden bietet.
Rz. 47
Beispielsweise kann auf größere Forderungsbestände eine pauschale Wertberichtigung vorgenommen werden. Eine pauschale Bewertung anstelle einer Einzelbewertung ist auch bei mehrjährigen Baumschulkulturen zulässig. Auf der Passivseite seiner Bilanz kann der Kaufmann etwa wegen vertraglicher oder gesetzlicher Gewährleistungsverpflichtungen eine Pauschalrückstellung bilden (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG). Der EuGH hat Pauschalbewertungen einheitlich für mehrere Bewertungsgegenstände aufgrund betrieblicher oder branchenmäßiger Erfahrungen für vereinbar mit dem Grundsatz der Einzelbewertung erachtet und dem Kaufmann damit einen Schätzungsspielraum eingeräumt.
Rz. 47a
Bewertungseinheiten sind bei einheitlichen Wirtschaftsgütern gegeben, deren einzelne Teile in einem einheitlichen Funktions- und Nutzungszusammenhang stehen. Ein solches einheitliches Wirtschaftsgut stellen beispielsweise Gebäude dar, bei denen einzelne Gebäudeteile wie Fahrstühle oder Heizungsanlagen nicht gesondert aktiviert ...