Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit von Schätzbescheiden
Leitsatz (redaktionell)
- Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzfehlern nicht anzunehmen, solange das Finanzamt nicht im Sinne einer Willkürmaßnahme zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat.
- Die Schätzung von Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit ist keine unzulässige Strafschätzung, wenn in den Vorjahren entsprechende Einkünfte erzielt wurden und der Behörde keine anderslautenden Informationen vorlagen.
- Die Finanzbehörde ist im Rahmen der Schätzung nicht gehalten Ermittlungen über die Schätzgrundlagen bei anderen Finanzämtern vorzunehmen.
- Eine Anhörung des Steuerpflichtigen vor Erlass des Schätzbescheides ist nicht geboten, wenn dieser seiner Steuererklärungspflicht nicht nachkommt.
- Eine Verpflichtung zur Aufnahme eines Nachprüfungsvorbehalts in Schätzbescheiden besteht nicht.
Normenkette
AO § 125 Abs. 1, § 164 Abs. 1, § 88
Streitjahr(e)
1995, 1996
Tatbestand
Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Da sie nach Ablauf der ihrem steuerlichen Berater bis zum 28. Februar 1997 gewährten Frist die Steuererklärung 1995 nicht abgaben, erließ das Finanzamt (FA) einen vom 9. März 1998 datierenden Schätzungsbescheid. Der gleichfalls auf einer Schätzung beruhende Einkommensteuerbescheid für das Folgejahr 1996 erging am 1. April 1998. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.
Am 8. Juli 1998 reichten die Kläger die ausstehenden Steuererklärungen nach. Einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der bestandkräftigen Einkommensteuerbescheide lehnte das FA mit Verfügung vom 5. Januar 2000 ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 2000 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Kläger die Nichtigkeit der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1995 und 1996 geltend machen.
Die Schätzungen des FA wiesen derart schwerwiegende Fehler auf, dass sie als nichtig i.S.d. § 125 Abgabenordnung (AO) beurteilt werden müssten. Dies folge zunächst aus den Ergebnissen der Schätzungen. Die geschätzten Einkommensteuerbescheide würden insgesamt zu einer mehr als ... DM höheren Steuerbelastung führen, als auf der Grundlage der nachgereichten Erklärungen gerechtfertigt wäre. Einzelne Schätzungsgrundlagen seien entweder gar nicht berücksichtigt worden oder der Höhe nach völlig aus der Luft gegriffen. In fehlerhafter Weise habe es das FA unterlassen, Ermittlungen über die Besteuerungsgrundlagen anzustellen und die Bescheide unter den Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) zu stellen. Zu bemängeln sei auch, dass die Behörde die Kläger vor der Schätzung nicht angehört und von der Anwendung von Zwangsmitteln und der Durchführung einer Außenprüfung abgesehen habe. Schließlich sei bei den Schätzungen eine Anrechnung geschätzter Lohnsteuerabzugsbeträge unterblieben.
Wegen des klägerischen Sachvortrages im einzelnen wird auf die Klageschrift vom 5. März 2000 sowie auf die weiteren Schriftsätze vom 10. Mai 2000 und 24. Juli 2000 Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der ablehnenden Verfügung des FA vom 5. Januar 2000 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 2000 die Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide 1995 und 1996 festzustellen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) würden selbst grobe Schätzungsfehler des FA nicht zur Nichtigkeit einer Steuerfestsetzung führen. Die vorliegenden Schätzungen seien jedoch frei von Fehlern und rechtmäßig ergangen. Die von den Klägern bemängelte Anrechnung geschätzter Lohnsteuerabzugsbeträge berühre nicht die angegriffene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, sondern das davon zu unterscheidende Anrechnungsverfahren. Darüber hinaus habe das FA inzwischen nach Vorlage der Lohnsteuerkarten für beide Streitjahre eine entsprechende Anrechnung vorgenommen, wodurch sich die von den Klägern errechnete Differenz zu der sich aufgrund der Erklärungen ergebenden verbleibenden Steuer auf etwa ... DM verringere. Wegen des weiteren Vorbringens des FA wird auf die Schriftsätze vom 6. April 2000 und 26. Mai 2000 verwiesen.
Dem Gericht haben von den für die Kläger beim beklagten FA zu Steuer-Nr. ... geführten Akten 2 Bände Einkommensteuerakten sowie ein Band mit Rechtsbehelfsvorgängen vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1995 und 1996 sind entgegen der Auffassung der Kläger nicht als nichtig zu beurteilen.
Als nichtig kann nach § 125 Abs. 1 AO ein Verwaltungsakt, und damit auch ein Steuerbescheid, nur angesehen werden, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben. Die Rechtsprechung (Rspr.) hat einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße ...