Entscheidungsstichwort (Thema)
Wechsel der Steuerklassen bei Ehegatten. grobe Fahrlässigkeit. Rechtsirrtum
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn beide Ehegatten im Leistungsbezug der Bundesanstalt für Arbeit (BA) stehen, sind die Voraussetzungen des § 137 Abs. 4 Satz 1 SGB III für beide Leistungsansprüche getrennt zu prüfen. Eine Gesamtbetrachtung der Leistungsansprüche beider Ehegatten ist weder nach dem Gesetzeszweck noch verfassungsrechtlich geboten. Auf die Richtigkeit seiner rechtlichen Beurteilung darf sich ein Leistungsempfänger grundsätzlich nicht verlassen. Vielmehr ist er verpflichtet, durch Angabe der maßgeblichen Tatsachen der Beklagten und nötigenfalls den zuständigen Gerichten die rechtliche Bewertung zu ermöglichen. Unterlässt er im Vertrauen auf seine eigene Rechtsmeinung wesentliche Mitteilungen, so begründet dies einen groben Verstoß gegen die für jedermann offenkundige Sorgfaltspflicht im Rechtsverkehr. Dies gilt erst recht, wenn die Beklagte nach dem Inhalt eines ausgehändigten Merkblattes offenkundig eine andere Rechtsauffassung vertritt.
Normenkette
SGB III § 137 Abs. 4 S. 1 i.V.m; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 15.11.2000; Aktenzeichen S 14 AL 1049/99) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 15. November 2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Januar bis 24. Mai 1998 und vom 30. Mai bis 22. August 1998 wegen Berücksichtigung der Leistungsgruppe D statt A bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg) infolge eines Lohnsteuerklassenwechsels sowie die hieraus folgende Erstattungsforderung der Beklagten in Höhe von 5.115,86 DM.
Die am 23. August 1963 geborene und verheiratete Klägerin war zuletzt von Dezember 1991 bis 30. November 1997 als Assistenzärztin aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages bei der … Universität in G. beitragspflichtig beschäftigt. In der Zeit vom 9. Dezember 1995 bis 10. Januar 1997 befand sie sich im Erziehungsurlaub.
Am 3. November 1997 meldete sie sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte mit dem von ihr am 6. Dezember 1997 unterzeichneten Antragsformular, das sie am 29. Dezember 1997 bei der Beklagten einreichte, Arbeitslosengeld. Im Antragsformular hatte sie die zu Beginn des Jahres 1997 für sie eingetragene Lohnsteuerklasse V angegeben, die ab 1. April 1997 in IV geändert worden war. Zu dieser Zeit hatte sie jedoch bereits am 25. November 1997 in die ihr für 1998 ausgestellte Lohnsteuerkarte mit Wirkung ab 1. Januar 1998 die Lohnsteuerklasse V eintragen lassen, worauf sie in dem Antragsformular nicht hinwies.
Ihr Ehegatte bezog seit 1. April 1997 ebenfalls Arbeitslosengeld, bei dessen Berechnung zunächst die Leistungsgruppe A (entsprechend Lohnsteuerklasse IV) berücksichtigt worden war. Aufgrund des zwischen den Ehegatten zum 1. Januar 1998 erfolgten Lohnsteuerklassenwechsels war bei ihm ab 1. Januar 1998 die Lohnsteuerklasse III eingetragen. Bei dem ihm ab 1. März 1998 bewilligten Arbeitslosengeld ging die Beklagte jedoch entgegen der eingetragenen Lohnsteuerklasse gemäß § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) gleichwohl weiterhin von der Lohnsteuerklasse IV und damit von der Leistungsgruppe A aus.
Mit Bescheid vom 13. Januar 1998 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Dezember bis 31. Dezember 1997, das unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe A sowie eines Bruttoentgelts in Höhe von 1.500,– DM wöchentlich nach einem erhöhten Leistungssatz in Höhe von 519,– DM wöchentlich gezahlt wurde. Mit Bescheid vom 23. Januar 1998 bewilligte die Beklagte ebenfalls unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe A ab 1. Januar 1998 Arbeitslosengeld mit einem erhöhten wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 521,50 DM, das sie bis 24. Mai 1998 zahlte.
In der Zeit vom 25. Mai bis 29. Mai 1998 meldete sich die Klägerin wegen einer selbständigen Erwerbstätigkeit aus dem Leistungsbezug ab.
Mit Bescheid vom 12. Juni 1998 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld in unveränderter Höhe ab 30. Mai 1998, das sie bis 22. August 1998 weiterzahlte.
Wegen der Geburt eines zweiten Kindes bezog die Klägerin ab 22. August 1998 Mutterschaftsgeld.
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 2. November 1998 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg. für den 22. August 1998 auf und machte gegen die Barmer Ersatzkasse (BEK) einen Erstattungsanspruch in Höhe des tatsächlich ausgezahlten täglichen Leistungssatzes nach Leistungsgruppe A (74,50 DM) geltend. Gegenüber der Klägerin stellte sie Erstattungspflicht nur ersatzweise für einen ggf. von der BEK nicht zu erstattenden Anteil fest. Mit Schreiben vom 18. Januar 1999 bat die BEK die Beklagte um Rückzahlung der Differenz zwischen dem Leistungssatz nach Leistungsgruppe A und D (22,34 DM), weil der Klägerin Alg. lediglich i. H...