Jürgen Gemmer, Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Vor dem Hintergrund des das finanzgerichtliche Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes ist es die Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und den Umfang einer eventuellen Beweisaufnahme zu bestimmen. Die Erstattungsfähigkeit von Kosten für ein Privatgutachten ist daher regelmäßig zu verneinen.
Maßgeblich ist die Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Person ex ante. Unerheblich ist, wie das Gutachten qualitativ einzuschätzen ist und ob es zu zutreffenden Ergebnissen gelangt. Der Umstand, dass das Privatgutachten den Rechtsstreit beeinflusst hat, ist für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten unerheblich.
Aufwendungen für Kalkulationsgutachten erstattungsfähig?
Das FG Münster (Beschluss v. 4.10.2021, 8 Ko 326/21, EFG 2022, S. 59) hatte in einem Erinnerungsverfahren darüber zu befinden, ob die Kosten für ein Kalkulationsgutachten erstattungsfähig sein können.
Im Ausgangsfall hatte das Finanzamt im Anschluss an eine Betriebsprüfung Einnahmen i. H. v. 10 % des wirtschaftlichen Umsatzes des Gastronomiebetriebs der Klägerin hinzugeschätzt. Die Klägerin beauftragte im Einspruchsverfahren eine Beratungsgesellschaft mit der Erstellung eines Gutachtens über eine Nachkalkulation der Einnahmen. Im Klageverfahren wurde das Gutachten fertiggestellt und vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung trafen die Klägerin und das Finanzamt auf Vorschlag des FG eine tatsächliche Verständigung, die (rechnerisch) auf dem Gutachten fußte. Die Kosten des Verfahrens wurden überwiegend dem Finanzamt auferlegt. Im Rahmen des Kostenfestsetzungsantrags beantragte die Klägerin auch die Erstattung der Kosten für das Gutachten.
Keine zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten
Das FG hat die Erinnerung als unbegründet abgewiesen. Es hat entschieden, dass die Kosten für das Kalkulationsgutachten nicht erstattungsfähig sind. Erstattungsfähig seien nach § 139 Abs. 1 FGO nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Zur Begründung führt das FG aus, dass das Gutachten nicht erforderlich gewesen sei, um ein Gutachten des Finanzamts zu widerlegen. Denn die Betriebsprüfung habe die Hinzuschätzung allein auf Grundlage eines Sicherheitszuschlags berechnet und anhand der Richtsatzsammlung verprobt, sodass das Gutachten nicht erforderlich gewesen sei, um "Waffengleichheit" zwischen den Beteiligten herzustellen.
Gutachten aus mehreren Gründen nicht erforderlich
Es sei auch nicht so, dass die Klägerin nur durch das eingeholte Gutachten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung befähigt worden sei. Zum einen hätte ein wirtschaftlich denkender Beteiligter in der Situation der Klägerin zunächst eine Einschätzung des Gerichts zur Schätzungsbefugnis dem Grunde nach zu erlangen versucht, bevor er ein Kalkulationsgutachten, dass allein die Höhe der zu schätzenden Einnahmen betreffe, einhole. Die Klägerin habe nämlich auch die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach in Abrede gestellt.
Zum anderen habe die Klägerin auch deshalb keinen Anlass gehabt, schon vor dem Gerichtsverfahren das Kalkulationsgutachten in Auftrag zu geben, weil – selbst wenn dem Grunde nach festgestanden habe, dass Besteuerungsgrundlagen zu schätzen seien – die Wahl der Schätzungsmethode im Gerichtsverfahren nicht den Verfahrensbeteiligten, sondern dem Gericht obliege (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO i. V. m. § 162 AO). Dies hätte die sachkundig beratene Klägerin bei vernünftiger Betrachtung dazu veranlassen müssen, dem Gericht gegenüber verschiedene Schätzungsmethoden anzuregen, nicht aber selbst eine Schätzungsmethode auszuwählen und auf Basis dieser Schätzungsmethode ein Gutachten erstellen zu lassen.
Zum Dritten könne für die Anwendung verschiedener Schätzungsmethoden (etwa einer Nachkalkulation oder einer Geldverkehrsrechnung) ein gerichtseigener Prüfer herangezogen werden. Für den gerichtseigenen Prüfer fielen keine Kosten an. Dies hätte einen vernünftig denkenden Beteiligten dazu veranlassen müssen, von der Einholung eines Gutachtens abzusehen.
Frage der Erstattungsfähigkeit nur bei Privatgutachten
Privatgutachten sind Gutachten, die nicht vom Gericht eingeholt wurden, sondern von einem der Beteiligten. Da im finanzgerichtlichen Verfahren Aufwendungen der Finanzbehörden nicht zu erstatten sind (§ 139 Abs. 1 FGO), was zugleich dazu führt, dass die Finanzbehörden (nahezu) ausschließlich durch eigene Sachverständige Gutachten erstellen lassen, kann es nur bei von der Klägerseite eingeholten Gutachten zum Streit um die Erstattungsfähigkeit kommen (vgl. RiFG Dr. Peter Haversath, EFG 2022, S. 61).
Das FG Münster bestätigt den Grundsatz, dass Kosten für Privatgutachten nur ausnahmsweise zu erstatten sind. Die Beteiligten können vielmehr die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht anregen oder einen entsprechenden Beweisantrag stellen (vgl. z. B. FG Hamburg, Beschluss v. 22.1.2018, 4 K 84/17, EFG 2018, S. 683; Beschluss v. 24.6...