0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 107 i. d. F. des SGB X v. 4.11.1982 (BGBl. I S. 1450) ist am 1.7.1983 in Kraft getreten. Im Zusammenhang mit der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) wurde die Vorschrift neu bekannt gemacht. Sie gilt i. d. F. des 4. Euro-Einführungsgesetzes v. 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983).
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift stellt klar, dass der Leistungsberechtigte, der von einem der nach §§ 102 bis 105 erstattungsberechtigten Leistungsträger bereits eine Leistung erhalten hat, keinen weiteren Anspruch gegen den letztlich zuständigen Leistungsträger hat. Besteht ein Erstattungsanspruch, wird kraft Gesetzes fingiert, dass durch die Leistung des Erstattungsberechtigten die Verpflichtung des endgültigen Leistungsträgers als erfüllt gilt. Der Berechtigte kann insoweit nicht mehr gegen diesen Leistungsträger vorgehen.
§ 107 gilt nicht nur für die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff., sondern generell für die im Sozialgesetzbuch geregelten Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Von § 107 wird daher z. B. auch der Erstattungsanspruch nach § 93 i. V. m. § 91 erfasst.
Abs. 2 regelt den Fall, dass der Berechtigte nicht nur gegen einen, sondern gegen mehrere Leistungsträger einen Anspruch hat. In diesem Fall bestimmt der Leistungsträger, der die Erstattung begehrt, welchen Anspruch er als erfüllt ansieht. Die Konkretisierung ist dem Leistungsempfänger und den übrigen Leistungsträgern mitzuteilen.
Die Erfüllungsfiktion gilt nicht nur gegenüber dem Berechtigten, sondern auch gegenüber Dritten, die aufgrund der Vorschriften der §§ 48, 51 bis 54 SGB I Ansprüche aus der Leistung des Berechtigten herleiten können. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Abtretung, Pfändung, Aufrechnung oder Verrechnung gegenüber dem Erstattungsanspruch vorrangig ist.
Somit dient die Bestimmung dem Zweck, Doppelleistungen an den Leistungsberechtigten auszuschließen und zugleich das Verhältnis zwischen Sozialleistungsanspruch des Berechtigten und Erstattungsanspruch klarzustellen. Der Berechtigte kann den endgültig zuständigen Leistungsträger nicht mehr in Anspruch nehmen (BSG, Urteil v. 22.5.2002, B 8 KN 11/00 R).
Auf eine einfache und ökonomische Weise wird erreicht, dass der Leistungsberechtigte nicht zurückgeben muss, was er von dem zuständigen Träger bekommt, dass der vorleistende Träger vom Risiko und der Last der Durchsetzung des Anspruchs nach § 50 befreit wird und das lediglich der Ausgleich im Verhältnis der beteiligten Leistungsträger erfolgt.
2 Rechtspraxis
2.1 Voraussetzungen der Erfüllungsfiktion
Rz. 3
Die Fiktion der Erfüllung setzt einen Erstattungsanspruch der Leistungsträger untereinander voraus. Erfasst werden in erster Linie Erstattungsansprüche nach
- § 102 – des vorläufig leistenden Leistungsträgers,
- § 103 – des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist,
- § 104 – des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers,
- § 105 – des unzuständigen Leistungsträgers.
Darüber hinaus werden auch Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern nach Sondervorschriften der SGB I bis XII von der Erfüllungsfiktion des § 107 erfasst.
Nach der gesetzlichen Bestimmung wird gefordert, dass ein Erstattungsanspruch besteht. Der zuständige Leistungsträger darf nicht in Unkenntnis der Leistung des anderen Leistungsträgers bereits mit befreiender Wirkung an den Berechtigten gezahlt haben. Ein Erstattungsanspruch kann dann nicht mehr entstehen.
Besteht ein Erstattungsanspruch, tritt die Erfüllungsfiktion unabhängig davon ein, ob er vom erstattungsberechtigten Träger auch geltend gemacht oder vom erstattungsverpflichteten Träger erfüllt wird.
Die Erfüllungsfiktion des Erstattungsanspruchs bleibt daher auch dann bestehen, wenn der Erstattungsanspruch
- nach § 110 pauschal bzw. wegen Geringfügigkeit nicht abgegolten wird,
- nach ungenutztem Ablauf der Ausschlussfrist des § 111 ausgeschlossen ist oder
- nach § 113 verjährt ist.
Wird ein Erstattungsanspruch nach § 112 rückgängig gemacht, ist dadurch auch die zunächst erfolgte Erfüllungsfiktion aufgehoben. Der Betrag der Rückerstattung steht daher dem Berechtigten zu.
Die Wirkung der Erfüllungsfiktion tritt nicht ein, wenn der Erstattungsanspruch aufgrund der Rangfolgeregelung nach § 106 nicht erfüllt wird.
Rz. 3a
Der Anspruch nach § 102 entsteht in dem Zeitpunkt, in dem dem Berechtigten die vorläufige Leistung tatsächlich zugewendet wird. Nach § 103 entsteht der Anspruch mit Bekanntgabe des leistungsgewährenden Bescheides des erstattungspflichtigen Leistungsträgers an den Leistungsberechtigten, sofern dieser die Leistung tatsächlich erhalten hat, und die Ansprüche nach §§ 104 und 105 entstehen mit der tatsächlichen Zuwendung der Leistung an den Leistungsberechtigten.
Bei wiederkehrenden Leistungen entsteht für jeden Zeitraum, für den die Leistung erbracht worden ist, ein neuer Erstattungsanspruch.
2.2 Wirkung der Erfüllungsfiktion
Rz. 4
Die Erfüllungsfiktion bewirkt, dass die Leistung des einen Leistungsträgers als Leistung des anderen gilt. Der an sich zur Leistung an den Leistungsberechtigten verpflichtete Träger wird hierdurch von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Leis...