Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1750
Seit etlichen Jahren wird darüber diskutiert, ob und ggf. wann die Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften eine steuerstrafrechtliche Verantwortung der an diesen Geschäften beteiligten Personen auslösen kann. Konkret geht es dabei meist um die Frage, ob sich die aufseiten des Erwerbers einer Aktie im Wege eines Cum-Ex-Trades agierenden Personen wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbar gemacht haben können, wenn sie unter der bis zum 31.12.2011 geltenden Rechtslage unter Vorlage einer von der Depotbank des Erwerbers erteilten Steuerbescheinigung die Anrechnung bzw. Erstattung von Kapitalertragsteuer beantragten, obwohl diese durch die (ausländische) Depotbank des (Leer-)Verkäufers tatsächlich nicht einbehalten und abgeführt worden war. Die Ermittlungsbehörden bejahen diese Frage grundsätzlich. Im Jahr 2021 hat nun der BGH entschieden, in dem dieser das Urteil des LG Bonn vom 18.3.2020 bestätigt hat, dass Cum-Ex-(Leerverkaufs-)Geschäfte eine Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellen. Die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfassungsbeschwerden waren ohne Erfolg. In dem darauffolgenden Jahr hat auch der BFH festgestellt, dass bei Cum-Ex-Geschäften grundsätzlich kein wirtschaftliches Eigentum über die dem Gesamtkonzept zugrunde liegenden Anteile erworben wird.
Damit verlagert sich die Diskussion nunmehr auf die dem objektiven Tatbestand nachfolgenden Einzelfragen, insbesondere solche zum Vorsatz und zur Möglichkeit der Einziehung.
Derzeit wird gegen die Verantwortlichen etlicher Banken, die an Cum-Ex-Geschäften beteiligt waren, mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung ermittelt. Es hat bereits bei mehreren Banken Durchsuchungen gegeben. Ebenso wurden Strafverfahren gegen Berater wegen des Vorwurfs der Beihilfe zu den Steuerhinterziehungen der Verantwortlichen auf Bankenseite eingeleitet und angeklagt. Durch zahlreiche Pressemeldungen ist das Thema auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Der Steuerschaden soll etwa 12 Mrd. EUR betragen.
Rz. 1751
Dabei ist überaus streitig, ob die Verantwortlichen tatsächlich den Fiskus systematisch zu unberechtigten Kapitalertragsteueranrechnungen veranlasst haben oder ob sie nur eine Gesetzeslücke genutzt haben, deren (endgültige) Schließung Aufgabe des Gesetzgebers gewesen wäre.
Rz. 1752
Auf eine Initiative der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE hin wurde im Februar 2016 der 4. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Bundestags eingerichtet. Insbesondere hat dieser die Aufgabe, die Ursachen der Entstehung dieser Cum-Ex-Geschäfte und ihre Entwicklung zu untersuchen und zu klären, ob und wenn ja, wann – rechtzeitig – geeignete Gegenmaßnahmen von Stellen des Bundes ergriffen wurden, ob diese ausreichten und wer ggf. jeweils die Verantwortung in diesem Zusammenhang trug. Nach anderthalb Jahren, am 20.6.2017, hat der Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorgelegt. Gegenwärtig wurde versucht, einen weiteren Untersuchungsausschuss einzurichten. Die am 18.4.2023 beantragte Einsetzung des zweiten Untersuchungsausschusses der 20. Legislaturperiode wurde indes am 5.7.2023 abgelehnt.