Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Schrifttum:
Blesinger, Der Schutz des Familienleistungsausgleichs ab dem 1.1.1996 durch das Steuerstrafrecht, wistra 1996, 255; Haag, Kindergeld und Steuerstrafrecht, ZTR 1999, 12; Hellmann, Konsequenzen der strafbefreienden Erklärung nach dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit für die Verfolgung von Nichtsteuerstraftaten, wistra 2004, 201; Heuermann, Kindergeld und Einkommensteuer oder: Wie vertragen sich materielles Sozialrecht und Steuerrecht, FR 2000, 248; Rönnau, Die Verkürzung von Kirchensteuern – ein Betrug ohne Folgen?, wistra 1995, 47.
Rz. 377
Steuern sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 AO Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die gesamte AO gilt nach § 1 Abs. 1 AO (mit Ausnahme des § 370 Abs. 6 AO) jedoch nicht für sämtliche Geldleistungen, die diese Merkmale erfüllen, sondern nur für Steuern, die durch Bundesrecht oder Recht der EU geregelt sind, soweit sie durch Bundes- oder LandesFinB verwaltet werden.
Rz. 378
Für die Realsteuern – das sind nach § 3 Abs. 2 AO die Grundsteuer und die Gewerbesteuer – sind die Straf- und Bußgeldvorschriften des Achten Teils der AO nach § 1 Abs. 2 Nr. 7 AO aber entsprechend anwendbar, soweit ihre Verwaltung den Gemeinden übertragen worden ist. In dieser gesetzlichen Regelung liegt keine unzulässige Anordnung analoger Rechtsanwendung (s. Rz. 27 ff.), sondern sie ist die zulässige Definition des Schutzumfangs des § 370 AO durch den Gesetzgeber. Nach § 3 Abs. 3 AO sind auch die in Art. 5 Nr. 20 und 21 UZK definierten Einfuhr- und Ausfuhrabgaben Steuern i.S.d. AO (s. Rz. 542 ff.). Monopolabgaben sind Verbrauchsteuern.
Rz. 379
Zu den Steuern, die verkürzt werden können, zählen nach der obigen Definition (s. Rz. 377) auch die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, der Stabilitätszuschlag sowie der befristete Solidaritätszuschlag. Wegen der Rückzahlung erfüllen dagegen Zwangsanleihen, Konjunkturzuschläge und bspw. die 1983/84 erhobene Investitionshilfeabgabe nicht den Steuerbegriff. Gebühren und Beiträge sind ebenfalls keine Steuern, weil bei ihnen eine Gegenleistung erfolgt.
Rz. 380
Für die Hinterziehung von Abgaben zu Marktordnungszwecken, die nach Regelungen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1–3 MOG erhoben werden, gilt § 370 AO nach §§ 12, 35 MOG entsprechend, sofern keine abweichende Regelung getroffen ist. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfasste deshalb bspw. eine zusätzliche Abgabe auf Milch nach Art. 1 VO (EWG) Nr. 3950/92 vom 28.12.1992 (s. auch Rz. 430).
Rz. 381
Landessteuern sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AO nicht vom originären Anwendungsbereich des § 370 AO erfasst, insb. also nicht die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern i.S.d. Art. 105 Abs. 2a GG. Gleiches gilt für die Kirchensteuer, die in den Kirchensteuergesetzen der Länder geregelt ist. Seit dem 27.4.2019 schließt auch Sachsen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Sächs. KiStG) wie die anderen Bundesländer die Anwendbarkeit des gesamten Achten Teils der AO (§§ 369–412 AO) ausdrücklich aus (vgl. z.B. § 8 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung der Kirchensteuer im Land Nordrhein-Westfalen). Aus der Nichtanwendbarkeit der Vorschriften der AO über die Steuerhinterziehung folgt auch, dass sich die Festsetzungsfristen für die Kirchensteuer bei (Lohn-)Steuerhinterziehung nicht nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO bzw. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO verlängern.
Rz. 382
Die mit der Einkommensteuerhinterziehung der Kirchenmitglieder regelmäßig einhergehende Kirchensteuerverkürzung kann nach Auffassung des BGH aber als Betrug (§ 263 StGB) geahndet werden (a.A. § 386 Rz. 79). Für die Anwendbarkeit des § 263 StGB sollen nach Auffassung des BGH § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO und Art. 4 Abs. 3 EGStGB sprechen. Einzuräumen ist dabei, dass aus Art. 4 Abs. 3 EGStGB folgt, dass die Verkürzung von Steuern grds. unter Vermögensschutztatbestände des StGB – in Art. 4 Abs. 3 EGStGB werden Betrug, Hehlerei und Begünstigung ausdrücklich genannt – fallen kann. Landesrechtliche Regelungen gehen diesen bundesrechtlich geregelten Strafvorschriften nach Art. 4 Abs. 3 Nr. 1 und 2 EGStGB aber dann vor, wenn sie die Straf- und Bußgeldvorschriften der AO für anwendbar erklären oder entsprechende Tatbestände wie die AO enthalten. Daraus folgt über den Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 EGStGB hinaus, dass den Ländern die kriminalpolitische Entscheidung über den Einsatz des Strafrechts zum Schutz von Landessteuern insgesamt überantwortet wird. Können Sie insoweit eigene, vom Bundesrecht abweichende landesrechtliche Strafvorschriften schaffen, haben sie auch umgekehrt die Kompetenz, auf das Strafrecht zu verzichten. Tun sie das, ist ein Rückgriff auf § 263 StGB nicht zulässig.
Rz. 383
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