Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 705
Dafür, dass der Versuch der Steuerhinterziehung durch aktives Tun mit Einreichung der Steuererklärung oder sonstigen Angaben beginnt, spricht, dass der Täter dann seinerseits i.d.R. alles getan hat, was aus seiner Sicht zur Tatbestandserfüllung notwendig ist, und das Geschehen aus der Hand gegeben hat. Das ist nur dann anders, wenn er davon ausgeht, der FinB noch über die ursprüngliche Erklärung hinaus ergänzende Angaben machen zu müssen, um den Hinterziehungserfolg herbeiführen zu können. Hat der Täter aber alles aus seiner Sicht für die Tatbestandserfüllung Erforderliche getan, liegt nach allgemeinen Regeln bereits ein beendeter Versuch i.S.v. § 24 Abs. 1 StGB vor, da der Täter nunmehr aktiv tätig werden muss, um den Erfolgseintritt zu verhindern, und sich nicht auf die bloße Aufgabe seines Tatentschlusses beschränken kann.
Rz. 706
Das lässt aber unberücksichtigt, dass Tathandlung und Taterfolg bei § 370 AO zeitlich weit auseinanderliegen können, wenn die Steuererklärung des Täters erst erhebliche Zeit nach ihrem Eingang bearbeitet wird. Bei der vergleichbaren Problematik bei § 263 StGB geht die h.M. deshalb zutreffend davon aus, dass in der Täuschungshandlung nur dann bereits ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Betrugstatbestands zu sehen ist, wenn diese Handlung unmittelbar auf die Herbeiführung einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung gerichtet ist. Denn erst dann, wenn die Vermögensverfügung unmittelbar bevorsteht, besteht (auch aus Sicht des Täters) eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut. Bis dahin hat der Täter das Geschehen aber unter Kontrolle, wenn er die Gefahr (nach seiner Vorstellung) noch rechtzeitig beseitigen kann.
Rz. 707
Gleiches gilt für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Auch hier stellt der Eingang der falschen oder unvollständigen Angaben bei der FinB nur dann ein unmittelbares Ansetzen dar, wenn nach Vorstellung des Täters alsbald nach dem Eingang mit der unrichtigen Steuerfestsetzung oder dem Gewähren eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils zu rechnen ist.
Beispiele
- Der Stpfl. hat seine unrichtige Einkommensteuererklärung für 2018 bereits im Februar 2019 mit der Post aufgegeben. Mit Absenden der Steuererklärung hat er die Kausalkette zwar aus der Hand gegeben, so dass der Erfolg eintreten wird, wenn er nicht in irgendeiner Weise in den Kausalverlauf eingreift. Wird die Steuererklärung aber erst im November 2019 bearbeitet, besteht bis kurz vor diesem Zeitpunkt tatsächlich noch keinerlei Gefahr für das geschützte Rechtsgut. Auch nach der Vorstellung des Täters beginnt die Gefahr erst, wenn die Bearbeitung kurz bevorsteht. Das spricht gegen die Annahme einer Versuchsstrafbarkeit bereits im Februar 2019. Diese Lösung stimmt zudem mit der bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO überein (s. Rz. 716 ff.).
- Der Angeklagte und seine Mittäterin erwarben in Polen ca. 3.000 Zigaretten, versteckten diese hinter dem Armaturenbrett ihres Pkw und reisten mit diesem in die Bundesrepublik ein. Sie hatten die Absicht, die Zigaretten nicht zu verzollen. Auf die Frage der kontrollierenden Zollbeamtin gaben sie nur jeweils 200 Zigaretten an. Bei einer Überprüfung des Pkw wurden die versteckten Zigaretten gefunden und sichergestellt. Das AG hatte den Angeklagten wegen vollendeter Steuerhinterziehung verurteilt. Das LG Dresden hat dagegen zu Recht nur einen Versuch angenommen (s. auch Rz. 1540 ff.), da die Festsetzung der Einfuhrabgaben sofort nach der Entdeckung erfolgte. Werden also bei einer Grenzkontrolle die nicht angegebenen Waren entdeckt, so kommt nur ein Versuch in Betracht, da die Einfuhrabgaben (s. auch Rz. 701, 704) noch rechtzeitig festgesetzt werden können. Das ist anders, wenn der Täter mit den Waren (ohne Festsetzung der Abgaben) nach Verlassen der Kontrollstelle bereits im Inland ist; dann ist Vollendung gegeben.
Rz. 708
Bei Feststellungsbescheiden über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO) und für den Verlustvortrag nach § 10a Satz 6 GewStG geht der BGH davon aus, dass wegen der Bindungswirkung für die spätere Steuerfestsetzung bereits ein ungerechtfertigter Steuervorteil erlangt wird, also Vollendung zu bejahen ist (s. Rz. 406 f.). Teilt man diese Auffassung, ist es praktisch ohne größere Bedeutung, ob die falschen oder unvollständigen Angaben, mit denen ein Feststellungsbescheid erschlichen wird, gleichzeitig noch die Strafbarkeit wegen versuchter Steuerverkürzung hinsichtlich der späteren Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden auf der Grundlage der Feststellungsbescheide darstellen. Die durch die Umsetzung der festgestellten Besteuerungsgrundlagen bewirkte Steuerverkürzung stellt dann "lediglich" einen weitergehenden Taterfolg dar.
Rz. 709
Teilt man die Auffassung des BGH nicht (s. Rz. 407), sprechen die besseren Argumente dafür, in den unrichtigen Angaben zur Erlangung eines Feststellungsbescheids noch kein unmittelbares Ansetzen zu...