Rz. 517
Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Dauer bzw. dem Ende der durch das Erscheinen des Amtsträgers hervorgerufenen Sperrwirkung. Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO befreit eine Selbstanzeige nur dann von Strafe, wenn sie erstattet wird, bevor ein Amtsträger zur Prüfung erscheint. Damit bleibt offen, ob durch die Außenprüfung eine Selbstanzeige für den geprüften Zeitraum und die geprüften Steuerarten für immer ausgeschlossen ist oder ob mit dem Abschluss der Prüfung die Erstattung einer Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung wieder möglich ist.
Rz. 518
Die hier ausführlich dargestellte Problematik stellt sich gleichermaßen bei den anderen Sperrgründen des "Erscheinens" eines Amtsträgers nach Nr. 1 Buchst. d (s. Rz. 530 ff.) und Nr. 1 Buchst. e (s. Rz. 542 ff.) des § 371 Abs. 2 Satz 1 AO sowie bei dem Sperrgrund der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO; Rz. 428) und dem der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO; Rz. 554 ff.).
Rz. 519
Eine Minderansicht hält unter Berufung auf den Wortlaut der Vorschrift das Recht zur Selbstanzeige mit dem Erscheinen des Amtsträgers ein für allemal für ausgeschlossen. Zur Begründung wird weiter angeführt, dass die Anreizfunktion der Selbstanzeige verloren gehe, wenn die Steuerhinterziehung während der Prüfung nicht entdeckt werde und danach kaum noch eine Entdeckungsgefahr für den Stpfl. bestehe. Die Lage vor Erscheinen des Amtsträgers zur Prüfung sei somit nicht wiederhergestellt, sondern entscheidend verändert.
In den Empfehlungen der Ausschüsse an den Bundesrat zum Entwurf des JStG 2010 vom 9.7.2010 plante der Gesetzgeber noch – i.S.d. Minderansicht – das Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit nach dem Abschluss einer steuerlichen Prüfung bzw. einer strafrechtlichen Ermittlung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO a.F. gänzlich auszuschließen. Dies wäre dem von den Ausschüssen selbst festgestellten Bedürfnis der Erschließung bisher verheimlichter Steuerquellen nicht gerecht geworden, da die Offenbarung nach wie vor unbekannter Steuerquellen nach Abschluss der Prüfung sehr wohl im Fiskalinteresse liegt. Im Schwarzgeldbekämpfungsgesetz wurde jenes Vorhaben deshalb nicht umgesetzt. Der Gesetzgeber hat sich damit bewusst der h.M. angeschlossen (s. Rz. 520), die ein Wiederaufleben der Sperrwirkung anerkennt.
Rz. 520
Nach heute ganz h.M. hat § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO – bei sachgerecht restriktiver Auslegung – nur eine vorübergehende Sperrwirkung. Nach Abschluss der steuerlichen Prüfung lebt die Selbstanzeigemöglichkeit bzgl. der nicht aufgedeckten Taten wieder auf. Ebenso ist das Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit in der Verwaltung seit 1952 weitgehend anerkannt.
Rz. 521
Angesichts des in den Vordergrund getretenen fiskalischen Zwecks auch der Ausschlussgründe (s. bereits Rz. 30 ff., 417) ist der h.M. zuzustimmen. Nach Abschluss einer Prüfung, bei der Hinterziehungshandlungen nicht zutage gefördert worden sind, ist nicht nur die Situation vor Erscheinen des Prüfers wiederhergestellt, sondern die Aussicht auf Entdeckung der verborgenen Steuerquelle sogar erheblich geringer als vorher und entsprechend stärker das Interesse des Staates an einer nachträglichen Selbstanzeige.
Rz. 522
Damit stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt des Wiederauflebens der Selbstanzeige-Möglichkeit. Hier stehen theoretisch folgende Zeitpunkte zur Diskussion:
- nach Weggang des Prüfers,
- nach Abschluss der Schlussbesprechung,
nach Abschluss der Prüfung und Absendung des auf die Prüfung hin ergehenden Steuerbescheids.
Vgl. hierzu BGH v. 24.8.1988: "Für ein Wiederaufleben der Anzeigemöglichkeit ist kein Raum, bevor die FinB die aufgrund der Außenprüfung erstmals erlassenen oder berichtigten Steuerbescheide bekannt gemacht oder das Prüfungsverfahren durch eine Mitteilung gem. § 202 Abs. 1 Satz 2 AO abgeschlossen hat."
- Zugang des die Prüfung abschließenden Steuerbescheids,
- Bestandskraft der Steuerbescheide.
Rz. 523
Vorzugswürdig ist die h.M., die auf den Zeitpunkt der Absendung des Steuerbescheids bzw. der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO abstellt. Gegen den Zeitpunkt der Schlussbesprechung bzw. gegen den noch früheren Zeitpunkt des Verlassens des Prüfungsorts durch den Prüfer spricht, dass eine Außenprüfung nicht schon dann, sondern erst mit der Weggabe zu den Akten (Absenden des Bescheids usw.) beendet ist. Bis dahin ist es auch noch möglich, dass das FA als die für die Auswertung des Prüfungsberichts zuständige Behörde noch weitere Ermittlungen verlangt, und auch der Außenprüfer selbst kann, wenn er bei der Abfassung des Berichts noch Zweifel an getroffenen Feststellungen bekommt oder auf Unklarheiten stößt, zu nachträglichen Ermittlungen in den geprüften Betrieb zurückkehren. Das...