Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 10
§ 375 Abs. 1 AO betrifft die Statusfolgen des § 45 Abs. 2 StGB (Amtsunfähigkeit und Verlust der passiven Wahlfähigkeit), nicht aber die Aberkennung des aktiven Wahlrechts gem. § 45 Abs. 5 StGB. Die Dauer, den Beginn und die Wirkung des Verlustes der Fähigkeiten und der damit verbundenen Rechtsstellungen sowie die Möglichkeiten zu Wiedererlangung der Fähigkeiten regeln die §§ 45a und 45b StGB.
§ 45 StGB Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts
(1) Wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen.
(2) Das Gericht kann dem Verurteilten für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren die in Absatz 1 bezeichneten Fähigkeiten aberkennen, soweit das Gesetz es besonders vorsieht.
(3) Mit dem Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, verliert der Verurteilte zugleich die entsprechenden Rechtsstellungen und Rechte, die er innehat.
(4) Mit dem Verlust der Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, verliert der Verurteilte zugleich die entsprechenden Rechtsstellungen und Rechte, die er innehat, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.
(5) Das Gericht kann dem Verurteilten für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen, soweit das Gesetz es besonders vorsieht.
§ 45a StGB Eintritt und Berechnung des Verlustes
(1) Der Verlust der Fähigkeiten, Rechtsstellungen und Rechte wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam.
(2) Die Dauer des Verlustes einer Fähigkeit oder eines Rechts wird von dem Tage an gerechnet, an dem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. Ist neben der Freiheitsstrafe eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden, so wird die Frist erst von dem Tage an gerechnet, an dem auch die Maßregel erledigt ist.
(3) War die Vollstreckung der Strafe, des Strafrestes oder der Maßregel zur Bewährung oder im Gnadenweg ausgesetzt, so wird in die Frist die Bewährungszeit eingerechnet, wenn nach deren Ablauf die Strafe oder der Strafrest erlassen wird oder die Maßregel erledigt ist.
§ 45b StGB Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten
(1) Das Gericht kann nach § 45 Abs. 1 und 2 verlorene Fähigkeiten und nach § 45 Abs. 5 verlorene Rechte wiederverleihen, wenn
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1. der Verlust die Hälfte der Zeit, für die er dauern sollte, wirksam war und |
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2. zu erwarten ist, daß der Verurteilte künftig keine vorsätzlichen Straftaten mehr begehen wird. |
(2) In die Fristen wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Verurteilte auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist.
Rz. 11
Der Anwendungsbereich des § 375 Abs. 1 AO reicht weiter als der des § 375 Abs. 2 AO. Er umfasst den Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO), des Bannbruchs nach § 372 Abs. 2, § 373 AO, der Steuerhehlerei (§ 374 AO) und der Begünstigung zu diesen Taten (§ 369 Abs. 1 Nr. 4 AO i.V.m. § 257 StGB).
Rz. 12
Der Katalog der in Betracht kommenden Steuerstraftaten ist abschließend. Nicht erfasst sind daher die Steuerzeichenfälschung (§§ 148, 149 StGB; s. § 369 Rz. 35 ff.) und deren Begünstigung (§ 257 StGB), es sei denn, sie stünden in Tateinheit mit einer der vorbezeichneten Steuerstraftaten (s. Rz. 17). Für den Steuergeheimnisbruch (§ 355 StGB) sieht die Sonderregelung des § 358 StGB als Nebenfolge den Verlust der Amtsfähigkeit vor.
Rz. 13
Kraft ausdrücklicher Verweisung findet § 375 Abs. 1 AO entsprechende Anwendung z.B. gem. § 96 Abs. 7 EStG (Altersvorsorgezulage); § 8 Abs. 2 Satz 1 WoPG (Wohnungsbauprämie), § 14 Abs. 3 Satz 1 des 5. VermBG (Arbeitnehmer-Sparzulage), Forschungszulagen (§ 13 FZulG), Mobilitätsprämien (§ 108 EStG) und Energiepauschalen (§ 121 EStG). Vgl. im Einzelnen zu den bundes- und landesgesetzlichen Verweisungen § 369 Rz. 25 f.
Rz. 14
Für Abgaben zu Marktordnungszwecken finden gem. § 12 Abs. 1 MOG die §§ 370–376 AO entsprechende Anwendung (s. § 369 Rz. 25).
Rz. 15
Bei Jugendlichen findet § 375 Abs. 1 AO keine Anwendung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 JGG), bei Heranwachsenden dann, wenn § 105 Abs. 1 JGG nicht gilt. Bei Ausländern scheidet § 375 Abs. 1 AO i.d.R. aus, da dies denknotwendig voraussetzt, dass der verurteilte Ausländer die Amtsfähigkeit oder Wählbarkeit besitzt oder jedenfalls innerhalb der nach § 45 Abs. 2 StGB festzusetzenden Frist die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit zu erwarten ist.